2-mal „Mattil“. Welch segensreicher Name für das Werden von
Lambrecht in einer Zeit epochalen Umbruchs!
Hier die pdf-Version des Artikels mit Inhaltsverzeichnis und Seitenangaben
1. Abschnitt: Die Gründe, die mich in den ‚Bannkreis‘ des Themas schlugen:
a) „Mattil“ im Jahre 1800
b) „Mattil“ im Jahr 1805
Im Rahmen meiner heimatgeschichtlichen Untersuchungen zur komplexen Frage, wann und weshalb die heutige Stadt Lambrecht in der Pfalz ihren guten, alten, hergebrachten, vollen Namen St. Lambrecht verlor, um ihn durch ein schlichtes, anspruchsloses Lambrecht zu ersetzen, stieß ich im Landesarchiv Speyer wiederholt auf zwei Dokumente, die als Quellen zur Deutung des Geschichtsverlaufs meiner Heimatstadt mein Interesse in besonderem Maße erregten.
Von den „Urkunden“, die ich in Händen halten durfte, um sie zunächst einmal auf ihren rein lesbaren Inhalt hin zu untersuchen, stammt die eine aus dem Jahr 1800, die andere aus dem Jahr 1805, beide also aus einer Zeit, da die Pfalz noch unter französischer Herrschaft war.
Bei dem Schriftstück aus dem Jahr 1800 handelt es sich um einen eigenhändig in lateinischer Schrift verfassten Brief, der, wie ein Vergleich der Schriftzüge unzweifelhaft ergibt, von der gleichen Person unterschrieben ist, die ihn auch angefertigt hat, nämlich einem Herrn Andreas Mattil.
Im zweiten Fall, dem Schriftstück aus dem Jahr 1805, liegen die Dinge bis auf ein Merkmal etwas, ja, ich würde sagen ‚erheblich‘ anders. Und dennoch stechen beide Schriftstücke durch eben dieses eine, ihnen beiden gemeinsame Charakteristikum, das sie miteinander zu verbinden scheint, das eine Brücke zwischen beiden bildet, ins Auge. Irgendwie ist es dieses unübersehbare Kriterium an „Gleichheit“, das den Betrachter nicht loslässt, ihm die Frage stellt, ob er mit diesem Aspekt der „Gleichheit“ nicht in tückischer Weise dem Versuch einer Verwechslung durch Gleichsetzung unterliegt.
Nun will ich den Leser des letzten Absatzes nicht mehr länger auf die Folter spannen, sondern in wenigen Zügen zu des ‚Rätsels‘ Lösung gelangen.
Bei dem zweiten Dokument handelt es sich um die Abschrift eines Sitzungsprotokolls des Gemeinderats Lambrecht, damals umfassend die Orte Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg, mit Datum vom 10.02.1805. Zur Beglaubigung dieser handschriftlich angefertigten Kopie wurde sie mit der Unterschrift des Amtsträgers des Bürgermeisters versehen, wie dies – noch vor der Unterschrift – aus der drittletzten Zeile der Abschrift durch den dort verwendeten Begriff des „Maire“ zu ersehen ist[1]. Die Unterschrift selbst lautet auf den puren Nachnamen Mattil. Ein mit Anfangsbuchstabe abgekürzter Vorname hierzu lässt sich nicht erkennen.
Bevor ich die beiden Unterschriften aus den Jahren 1800 und 1805 auf ihre frappierende Ähnlichkeit und gar personale Identität eingehend untersuche, möchte ich der Vollständigkeit halber erst einmaldas in französischer Sprache verfasste Schreiben aus dem Jahr 1800 im Original abbilden, es sodann sinngemäß und möglichst wortgetreu ins Deutsche übersetzen, um schließlich eine Auslegung und Wertung des Schreibens vorzunehmen.
Hier das Entlassungsgesuch Herrn Andreas Mattils vom 12.01.1800
aus dem Amt des „agent municipal“ von Lambrecht in der
handgeschriebenen, französischen Originalfassung:
(Quelle: Landesarchiv Speyer, aus Bestandtsakte: G 6 Nr.542 – fol.99)
Hier die Übersetzung des Entlassungsgesuchs Herrn Andreas Mattils vom 12.01.1800 aus dem Amt des „agent municipal“[2] von Lambrecht:
Lambrecht, den 12. Januar 1800
Der Verwaltungsbeauftragte der Gemeinde Lambrecht
an die
Hauptverwaltung des ‚Département Donnersberg‘
Bürger der Behörde / Verwaltung!
Schon mehrmals habe ich den Kanton Neustadt um meine Entlassung aus der Gemeindeverwaltung gebeten. Bisher leider vergebens. Daher sehe ich mich gezwungen, mich direkt an Sie zu wenden, mit der Bitte, meinem Entlassungsgesuch wohlwollend zu entsprechen. ------------- Begründen möchte ich meine Bitte wie folgt:
- Die Arbeiten, denen ich mich in meiner Funktion als Verwaltungsbeauftragter zu unterziehen habe, strengen mich derart an, dass ich notgedrungen eine Brille tragen muss, ohne die ich nichts erledigen kann, und ich habe mit Bedauern festgestellt, dass mich die ungenaue Arbeitsweise der Berufsgehilfen um das Vertrauen der Leute gebracht haben, die ihr Getreide[3] bei mir mahlen lassen, mit dem Resultat, dass sich diese spannungsgeladene Atmosphäre, wie sie sich seit einiger Zeit eingeschlichen hat, auch auf meine Familie auswirkt.
- Ich spreche die französische Sprache überhaupt nicht, und mein Urkundenschreiber, der sie sprechen kann, ist vor einigen Monaten verstorben. Daher ist es mir unmöglich, die Angelegenheiten meiner Gemeinde in der Sache völlig angemessen zu erledigen, wie dies gewiss der Fall wäre, wäre mir diese Sprache vertraut. ------------------------------
Diese Gründe lassen Sie daher sehr wohl erkennen, dass ein Mann, der anderthalb Jahre lang zum größten Nachteil seiner Familie die Aufgaben eines Verwaltungsbeauftragten erfüllt hat, es gerechterweise verdient, ersetzt zu werden, um sich seinen häuslichen Angelegenheiten widmen zu können. -----------------------------------------
Würden Sie daher bitte der Gemeindeverwaltung des Kantons Neustadt gestatten, den Beigeordneten meiner Gemeinde so lange mit der Erledigung der Gemeindeangelegenheiten zu betrauen, bis Sie einen andern Bürger meiner Gemeinde vorschlagen, der Ihres Vertrauens würdig ist und sich für meinen Aufgabenbereich eignet und stimmen Sie meiner Entlassung zu.
Gruß und Brüderlichkeit
an die Republik
Der Verwaltungsbeauftragte von Lambrecht
Andreas Mattil
Beauftragter (= agent)
Aus dem nachträglich von oberster Stelle beigefügten Vermerk im Querformat links auf der 1. Seite des Schreibens geht hervor, dass die Sache zur Entscheidung an die Verwaltung in Neustadt zurückverwiesen wurde. Sinngemäß und weitestgehend wortgetreu übersetzt lautet dieser Zusatz:
Zurückgeschickt an die Stadtverwaltung von Neustadt, damit diese ihre Meinung (dazu) äußert und einen Nachfolger vorschlägt
Mainz, den 3. Pluviôse im 8. Jahr (der Republik) = 23.01.1800
Die Verwaltung des Département
Malinrapé……(?)
manu
(pr.) F lat. ‚manu propria‘
= mit eigener Hand [geschrieben]
Das Bild, das Herr Mattil in seinem an die Zentralverwaltung des Département Donnersberg gerichteten Schreiben vom 12.01.1800 von sich zeichnet, verkehrt sich bei näherer Betrachtung genau in das Gegenteil dessen, was er als Gründe für sein Entlassungsgesuch im Amt als „agent municipal“ von Lambrecht der obersten Behörde geltend machen möchte.
Durch die laufenden, diesem Brief vorausgegangenen, gekonnt geschriebenen Einreichungen an den Kanton Neustadt, mit dem Wunsch nach Entlassung aus dem Amt des Verwaltungsbeauftragten von Lambrecht („agent municipal“), wurde die Kantonalverwaltung in Neustadt höchst wahrscheinlich erst so richtig aufmerksam auf die Qualitäten dieses Mannes. Allein schon das Sprachformat, die schriftsprachlich saubere Ebene, das sich darin offenbarende vorzügliche Französisch muss der Stadtverwaltung („municipalité“) von Neustadt imponiert, ja bestens gefallen haben.
Parallel zur Sprache, dem daraus ablesbaren Bildungsniveau dieses „agent municipal“, muss es auch um seine eigentlichen Leistungen im Dienste seiner Gemeinde bestellt gewesen sein. Zumindest liegt diese Schlussziehung nahe, ergänzt doch das Eine das Andere. Auch in dieser Hinsicht wird Herr Mattil – entgegen seiner eigenen Geltendmachung – zum Vorteil und Nutzen der Bewohner[4] seines Ortes, zur Erhöhung des Allgemeinwohls Entscheidungen per Verwaltungsakte getroffen haben, die sachlich korrekt waren und von der übergeordneten kommunalen Aufsichtsbehörde in Neustadt abgesegnet wurden.
Man darf davon ausgehen, dass Führungspersönlichkeiten, ausgestattet mit den Begabungen / Talenten eines Herrn Mattil, damals wie heute rar gesät waren/sind.
Im Auswertungsresümee muss man daher zu der Feststellung gelangen:
Einen solchen Mann zu entlassen, wäre einem Verlust gleichgekommen, dem Verlust einer Person, die kaum durch eine andere, gleichwertige zu ersetzen gewesen wäre.
- Abschnitt: Vergleichende Untersuchung zur Feststellung der Identität der beiden Unterschriften des Namens „Mattil“ aus den Jahren 1800 und 1805 anhand der Unterschriften selbst
Eine relativ klare, eindeutige Beantwortung dieser Frage ist nur über eine Indizienbeweisführung möglich.
Um eine solche in die Tat umzusetzen, bedarf es einer augenscheinlichen, eingehend präzisen Betrachtung beider Unterschriften in ihrer Größenordnung, Federführung[5] und weiterer Bestimmungsfaktoren.
In folgendem Abbildungsvergleich habe ich mich bemüht, die beiden Unterschriften kontrastiv bzw. augenfällig nebeneinander zu stellen, sodass der Leser zu einer vergleichenden Betrachtung mit eingeladen wird:
Andreas Mattil agent Unterschrift unter dem eigenhändig / mit gleicher Hand geschriebenen Entlassungsgesuch aus dem Amt des „agent municipal“ (= Gemeinde-verwaltungsbeauftragten) von Lambrecht mit Datum vom 12.01.1800
Quelle: Landesarchiv Speyer, Bestand: G 6 Nr. 542 – fol. 99 |
Mattil Unterschrift eines Herrn Mattil zur Beglaubigung der Abschrift eines Sitzungsprotokolls vom 10.02.1805 des Gemeinderats von Lambrecht, der damals aus den drei zu einer Mairie (= Bürgermeisterei) veschweißten Gemeinden von Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg bestand.[6]
Quelle: Landesarchiv Speyer, aus Bestandsakte: G 6 Nr. 215 I / 28
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Um einigermaßen auf der sicheren Seite zu sein, wenn es um die ‚Entzauberung‘ von Schriften geht, habe ich auch in diesem Falle zwei ausgewiesene Experten im Lesen von Schriften, speziell der Sütterlin-Schrift, zu Rate gezogen.
Während die eine Person mit meiner Deutung übereinstimmt und ohne Umschweife zu dem Ergebnis kommt, dass beide Unterschriften „eindeutig“ mit der gleichen Hand geschrieben sind, führt die zweite Person Gründe ins Feld, die sie meine Identitätsvermutung in Zweifel ziehen lassen.
Zur Ablehnung meiner These / Vermutung führt diese Person drei Argumente an:
a) Die Unterschrift im Dokument aus dem Jahr 1805[7]sei in lateinischen Buchstaben, die andere aus dem Jahr 1800 in deutschen Schriftbuchstaben geleistet worden.
b) Das Initial-M im Dokument aus dem Jahr 1800 weise im oberen rechten letzten Bogen eine kleine „Ecke“ auf, eine Einbuchtung, im Gegensatz zum „M“ im andern Dokument, in dem der Schwungbogen kurvengleich „flüssig‘“ weitergeführt würde.
c) Das „a“ in der Unterschrift des Dokuments aus dem Jahr 1800 sei mit ziemlicher Sicherheit ein deutsches „a“.
Alle drei Argumente lassen sich entkräften, ja widerlegen, wie folgt:
Zu a) in Verbindung mit c):
Der Großbuchstabe „M“ ist für mich in beiden Unterschriften der Sütterlin-Schrift entlehnt. Wäre er auf Lateinisch geschrieben, in welcher Schriftform wir (alle) im westeuropäischen Sprachraum das Alphabet schreiben gelernt haben und daher mit ihm von Kindesbeinen an vertraut sind, würde er nicht fast aufs Haar genau aussehen wie
dieses (=M), das zu diesem Anschauungszweck einer Musterkartei für die einzelnen Groß- und Kleinbuchstaben der Sütterlin-Schrift entnommen ist.
Das kleine Sütterlin „a“ lässt sich kaum von seinem Pendant in lateinisch gebundener Schrift unterscheiden. Beide „a“-Formen fließen schier unterschiedslos ineinander über, vor allem, wenn sie rasch bzw. in normaler Schreibgeschwindigkeit zu Papier gebracht werden.
Die Kleinbuchstaben „a“, „t“, “i“, „l“ können in ihrer praktischen, handschriftlich ausgeführten Anwendung sowohl der Sütterlin– als auch der deutschen Schrift zugordnet werden.
Im Resümee zur Sache bleibt einem daher nur die Feststellung übrig, dass letzten Endes keine der beiden Unterschriften zweifelsfrei beweiskräftig der einen oder anderen Schriftform zuzuordnen ist.
Zu b)
Die ‚Einbuchtungsecke‘ entspricht vorbildlich, ja regelkonform mustergültig dem von der Sütterlin-Schrift vorgezeichneten „M“, wie wir aus dem weiter oben unter a)c) graphisch abgebildeten Groß-„M“ der Sütterlin-Schrift ersehen können.
Worauf ist also dieser feine, fast schon sublime und doch unübersehbare Unterschied in der Schreibung beider „M“ zurückzuführen? Auf zwei verschiedene Personen gleichen Nachnamens (und daher die von einander abweichenden Unterschriften)? Wohl eher nicht.
Schreibe ich selbst / eigenhändig an eine Dienstbehörde, der ich als Amtsinhaber untergeordnet bin, ich rechtlich unterstehe, dann bemühe ich mich, in jeder Hinsicht die Form eines solchen offiziellen Schreibens einzuhalten, zumal, wenn ich mich erwartungsvoll mit einer bestimmten Bitte an sie richte.
Daher auch die Unterschrift in möglichst best lesbarer Art. Daher das formvollendete, korrekte Sütterlin-„M“ mit der ‚Einbuchtungsecke‘ im oberen rechten Bereich.
Nicht so bemühen muss ich mich um eine klar lesbare und gar noch ästhetisch aussehende Handschrift, wenn es um meine Unterschrift geht, die für den eigenen Gebrauch, den Hausgebrauch innerhalb der Grenzen meiner eigenen Weisungsbefugnis gedacht ist. Hier kann ich die Zügel etwas schleifen lassen und zügiger schreiben. Daher die Umgehung bzw. Auslassung des ‚Eckenknicks‘ im „M“.
Das Abschwunggeschnörkel am Ende beider Namenszeichnungen – irgendwie doch sehr formgleich[8] – darf nicht als Brimborium gewertet werden, nur weil wir dazu tendieren, es aus der Perspektive unseres heutigen ‚down-to-earth‘ Sprachgebrauchs als unnütz, als überflüssig anzusehen.
Das Gegenteil ist der Fall. Es steht in Affinität, einer Art Verbindungslinie, zum mächtig ausholenden Bogenaufschwung, durch den der Name seinen „Startschuss“ erhält. Sämtliche Windungen wie auch andere, optisch augenfällige Extras in der Linienführung der Unterschrift dienen allein dem Zweck der Hervorhebung der Bedeutung des Namensträgers. Sie verleihen der Person dieses Namens einen Hauch von Noblesse, etwas Majestätisches. Sie wirken gravitätisch.
Für solche Formen, solches Verfahren im Schreibmodus haben wir heute kein Verständnis mehr. Verstehen aber heißt sich in die Lage des Andern im Kontext seiner Zeit Hineinversetzen. Wenn dies in angemessener Weise geschieht, darf man mit brauchbaren Schlussziehungen und Beurteilungen rechnen. Damit steht und fällt – im Gegensatz zu den deskriptiv analytisch vorgehenden Naturwissenschaften – der Wert der heuristisch hermeneutisch prozedierenden Geisteswissenschaften.
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Noch ein letztes Wort zu den Mischformschreibweisen, welche die Frage des Entweder Oder, des entweder deutsche Schrift oder lateinische Kursivschrift, wie im gegebenen Fall der beiden Unterschriften, aufzuheben vermag.
Das Argument, eine Person unterschreibe nicht einmal in deutscher, dann wiederum bei anderer Gelegenheit, aus anderem Anlass in lateinischer Schrift, ist nicht stichhaltig. Es hinkt. Es vermag meine These / Auslegung von der personalen Identität beider Unterschriften, die lediglich ein Abstand von fünf Jahren trennt, nicht zu widerlegen.
Als Beweis dafür, dass es schon immer Personen gab, die mehrere Schriften / Schriftarten / Schreibweisen beherrschten und diese je nach Gutdünken oder Erfordernis auch aktiv zur Anwendung bringen konnten, möge meine Oma mütterlicherseits, Jahrgang 1896, dienen. Sie schrieb je nachdem, an wen ihre Briefe / Mitteilungen gerichtet waren, zweckgebunden einmal in deutscher, ein andermal in lateinischer Schrift. Noch auf dem Sterbebett im gesegneten Alter von 87 Jahren schrieb sie mir auf meine Bitte hin einen kurzen Satz, in dem sie mir, ihrem geschichtskundigen und theologieinteressierten Enkel, zur Vermeidung möglicher Erbstreitigkeiten eine Lutherbibel vermachte, die aus dem Druckjahr 1769 stammt und zu dem Zeitpunkt schon längst in meinem Gebrauch war. Mir zuliebe schrieb sie diesen Satz in lateinisch gebundener Schrift, da ich Texte in deutscher Schrift noch nie so richtig lesen konnte.
Aus diesem Satz meiner Oma möge als Beispiel für eine Mischformschreibweise zwischen deutscher und lateinischer Schrift das Wort „Frieda“ dienen, das ich aus ihrer Unterschrift zu diesem Zweck herausgreifen möchte:
Wie jedermann sieht, lässt sich dieses Wort auf den ersten Blick, quasi auf Anhieb und ohne große Mühe als der gute alte Vorname „Frieda“ ‚entschlüsseln‘. Was aber auch sofort ins Auge fällt, ist die merkwürdige Schreibweise des „F“ am Anfang des Namens. Während alle übrigen Buchstaben mehr oder weniger eindeutig, ja fast kristallklar in lateinischer Kursivschrift geschrieben sind, ragt das große „F“ wegen seiner eigentümlich andersartigen Linienführung heraus. Irgenwie weicht es stark ab von der heute üblichen Schreibweise, zumindest von der Ausführungsart, wie ich sie noch in der Schule in den frühen fünfziger Jahren gelernt habe.
Das „F“ in „Frieda“, das wir erblicken, gleicht doch eher folgendem „F“:
Und damit wären wir auch schon wieder bei der Sütterlinschrift.
Alles in allem darf ich allein anhand dieses Beispiels zu der Feststellung gelangen, dass es schon immer Formen in den Schreibweisen von Schriften gab, die ineiander überflossen, letztendlich nicht mehr klar voneinander zu trennen waren. Auch war es schon immer so, dass mit der Erfindung der Buchstabenschrift ein Alphabet das andere beeinflusst, also gestaltet hat. Übernahmeformen in der Weiterentwickling der Buchstaben und damit der Schrift gab es seit wir dies geschichtlich fundiert zurückverfolgen können.[9]
Ein ‚hauseigenes‘, zweites Beispiel für die unübersehbare Tatsache einer Mischschreibweise ist das Wort „Andreas“ in der Unterschrift von „Andreas Mattil“.
Nie im Leben wäre ich darauf gekommen, dass der erste Buchstabe in „Andreas“ einem lateinisch geschriebenen „A“ entspricht. Während ich in der Lage war, alle übrigen Buchstaben in ihrer genauen Reihenfolge als „ndreas“ zu ‚dechiffrieren‘, musste ich das „A“ als passende Ergänzung zu dieser Buchstabenfolge förmlich erraten.
Das von Herrn „Andreas Mattil“ in seiner Unterschrift benutzte, große „A“ ist für mich weder ein lateinisch noch deutsch geschriebenes „A“. Eher zeugt es von einer handschrifteigenen, Herrn Mattil zur Gewohnheit gewordenen Linienführung dieses Buchstabens. Ein „A“ in der Sütterlinschrift sähe wie folgt aus:
Die Entweder-oder-These, die da besagen soll, dass die früher getätigte Unterschrift in deutscher, die fünf Jahre später erfolgte in lateinischer Schrift niedergelegt wurde – oder auch vice versa – ist damit hinfällig.
Summa summarum gelange ich zu dem Ergebnis, dass beide Unterschriften von ein und derselben Person stammen müssen. Allein die optisch auffällige, geradezu ins Auge springende Ähnlichkeit beider Unterschriften spricht eindeutig für diese Auffassung. Und im Übrigen belegen die geringfügigen Abweichungen in der Linienführung beider Unterschriften lediglich das Faktum, dass Handschriften sich selten an Schulvorlagen halten, sondern oft höchst bedeutsam von diesen (mustergültigen Regeln) abweichen. Handschriften sind das charakterliche Abbild / Spiegelbild einer Person. Man muss sich erst einmal in sie einlesen, um sie zu verstehen. Präzise Schablonen bestimmter Schriften waren sie noch nie. Auch enthalten sie durchaus Fehler.[10]
3. Abschnitt: Abschließende Gedanken zur Identität Herrn Andreas Mattils in seiner ersten Eigenschaft als „agent municipal“, sodann in seiner noch gehobeneren Position als „maire“ von Lambrecht
Neben den rein optischen Gründen, die für eine Identität beider Personen sprechen und im vorausgehenden Abschnitt eingehend untersucht wurden, drängen sich dem Betrachter dieser zunächst offenen Identitätsfrage allein aus dem situativen Kontext der Zeit von 1800 bis 1805 heraus eine Reihe weiterer Gründe auf, die nicht von der Hand zu weisen sind und welche die Identitätsvermutung für beide Personen geradezu zwingend nahelegen.
Die Gründe, die Herr Mattil in seinem Entlassungsgesuch vom Januar 1800 aus dem Amt des „agent municipal“ (= Verwaltungsbeauftragten) von Lambrecht anführt, sind allesamt fadenscheinig. Kein Wunder, dass all seine bisherigen Einreichungen zur direkt übergeordneten Aufsichtsbehörde, der Kantonalverwaltung in Neustadt, dort kein Gehör fanden. Und auch sein ultimativ letzter Versuch, seine Entlassung endlich zu erwirken, scheiterte an der obersten Dienstaufsichtsbehörde selbst, der Zentralverwaltung des Département Donnersberg in Mainz, die sein Gesuch demonstrativ zur Entscheidung wieder an die untere Behörde zurückverwies.
Wie sind diese hartnäckig wiederholten Versuche zur Entlassung aus dem Amt zu sehen, zu werten?
Was stellen sie eigentlich dar? Was verbirgt sich hinter / in ihnen?
Die Antwort darauf findet sich meines Erachtens einzig in der ablehnenden Haltung all dieser von den Franzosen aus der deutschen Bevölkerung bestellten und ernannten Amtsinhaber[11] gegenüber der militärischen Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch französische Truppen, deren Machtausübung zur territorialen Eingliederung dieses deutschsprachigen Raums als Fremdherrschaft empfunden wurde.
Nachdem wir[12] militärisch besiegt waren, war jeder offene, aktive Widerstand gegen die Herrschaft der Franzosen aussichtslos geworden. Es bot sich nur noch die Form des passiven Widerstands an, vor allem des Widerstands gegen die Okroyierung der französischen Sprache als (Schul- und) Amtssprache, offenbaren sich doch in einer Sprache die Lebenseinstellung, Denk- und Lebensweise einer solch ethnischen ‚Gruppe‘ sowie das gemeinsam in Freud wie Leid erfahrene Schicksal, die Geschichte als einigendes Band eines ‚Volkes‘[13]
Um nichts Anderes handelt es sich im Falle des Entlassungsgesuchs von Herrn Mattil. Wie alle andern Amtsinhaber seiner engeren und weiteren Umgebung tritt auch er mit diesem Schreiben in die inzwischen zur Tradition gewordenen Fußstapfen seiner Widerstands-Kollegen und -helden . In seinen Worten, seiner ganzen Darlegung kommt eine Verweigerungshaltung zum Ausdruck. Vielleicht war er mit seinen Amtsgenossen der zuversichtlichen Hoffnung, eine gemeinsame, vereint ausgeübte Verweigerungshaltung ihrer aller würde die Verwaltung der Franzosen zusammenbrechen lassen und in der Folge Paris dazu zwingen, seine Herrschaft über die linksrheinisch besetzten Gebiete aufzugeben. Der Traum eines ‚Befreiers‘ eines von den Franzosen geknechteten Volkes? Die Idee der Freiheit und Selbstbestimmung eines „unteilbaren“[14] Volkes war mit der Invasion der Franzosen in deutsche Lande jedenfalls unwiderbringlich gegeben, ja Früchte tragend geboren.
Herr Mattils Bestreben, die Franzosenherrschaft abzuschütteln, das Land auf friedliche Weise der Fremdbestimmung zu entreißen, ist durchaus in einer Linie mit der Politik, der Vorgehensweise seiner Amtskollegen in der näheren Umgebung zu sehen. Unter diesen gab es gar welche, die ungeniert so weit gingen, sich gar als Analphabeten hinzustellen, als Personen, die des Schreibens und Lesens zumindest nicht so mächtig waren, dass sie das ihnen übertragene Amt auch nur annähernd erwartungsgemäß hätten ausüben können.[15]
Nur, die Art und Weise, wie Herr Mattil gekonnt flott auf Französisch sein ‚Unvermögen‘ im Amt unter Beweis zu stellen versucht, bewirkt exakt das Gegenteil seiner Absicht. Die Empfänger des Schreibens müssen doch sofort nach dem ersten Durchsehen seines Gesuchs bemerkt haben, wie von der Sprache her geeignet und von der Sache her begabt er war. Es verwundert daher nicht, dass all seine (vorangegangenen) Entlassungsanläufe auf der Basis der von ihm vorgetragenen Gründe von Anfang an nicht erfolgversprechend sein konnten.
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Ein die bisherige Argumentation ergänzender Gesichtspunkt von ganz gewichtiger und ebenso herausragender Bedeutung liegt in einer Epiphanie, einer Erkenntnis, um nicht zu sagen ‚Erleuchtung‘, die mir der Himmel auf einen zweiten Blick, eine weitere Überlegung zur Identitätsfrage beider Personen namens Mattil schenkte.
So stellte sich mir die Ausgangsfrage, ob es nicht möglich gewesen sein könnte, dass Herr Mattil seinen inneren wie äußeren Widerstand gegen die Fremdherrschaft der Franzosen im Laufe der Jahre aufgegeben hat. Und wenn ja, aus welchen Gründen, welchem Sinneswandel heraus, um ja nicht zu einem „Verräter“ des Vaterlandes gestempelt zu werden.
Durchaus halte ich es für möglich, dass Herr Mattil nach reiflicher Überlegung und Ringen mit sich selbst zu der Überzeugung gelangte, dass es langfristig nur zum Nutzen, zum Wohl der ihm anvertrauten Bewohner der „Mairie“ (= Bürgermeisterei, Gemeinde) Lambrecht[16] gereichen würde, entledigte er sich seiner Verweigerungshaltung im Amt, um mit seiner ganzen Kraft, seinem ganzen Können, all seinen Fähigkeiten der Großgemeinschaft seines Ortes zu dienen.
Allein wenn ich bedenke, wie unter seiner Ägide der Teil der Ratsbeschlüsse vom Februar 1805 zur Unterrichtsversorgung in seinem drei Ortschaften umfassenden Ort Lambrecht aussah, welch soziale Gerechtigkeit darin offenbar wird, kann ich nur von einem Segensreichtum sprechen, der mit diesem Mann der Großgemeinde Lambrecht damals zuteil wurde.
Welch eine ‚Wohltat‘, welch ein ‚Segen‘ muss dieser Mann gewesen sein nicht nur für Lambrecht, sondern in der Ausstrahlung, der Auswirkung seiner Arbeit als Amtsträger auch für die nähere Umgebung von Lambrecht! Die Maxime seines Handelns, seines kategorischen Imperativs muss in den beiden Prinzipien verankert gewesen sein: umsichtiges Agieren in Fürsorge für alle.
Epilog zum ursprünglich geplanten Thema: 3-mal „Mattil“
Den Bogen meiner Untersuchungen zum Thema „Mattil“ wollte ich eigentlich spannen von 1800 bis 1820/21, den beiden Jahren, in welchen ein bis ins Spätmittelalter zurückreichender, immer wieder neu aufflammender Grenzstreit um Waldbesitz mehrerer Gemeinden, im Kern zwischen den beiden Kontrahenten Lachen und Hambach, durch vertragliche Regelung ein friedliches Ende fand und die neuen Besitzverhältnisse zwischen den beiden genannten Ortschaften 1828 rechtskräftig[17] wurden.
Diese historisch in etlichen Urkunden für Lachen-Speyerdorf und Hambach belegte Tatsache, dass der Besitz von Wald, vor allem, wenn er genossenschaftlich von zwei Gemeinden zu nutzen war, von entscheidender Existenzgrundlage für die Bewohner solcher Gemeinden in Waldesnähe war, kommt signifikant zum Ausdruck an einem aus dem Waldboden hervorschauenden Stück Felsmassiv, das unter der Bezeichnung „Breite Loog“ als Grenzstein benutzt wurde. Der Grenzfelsen befindet sich im Pfälzer Wald auf dem Wanderweg zwischen dem „Kaisergarten“ und der „Hellerhütte“.
Die „Breite Loog“, ein vom Pfälzerwald Verein aus dem Waldboden wieder frei gelegter und hergerichteter Sandsteinfels, der jahrhundertelang als Grenzstein, Nahtstelle und Knotenpunkt von Waldstücken verschiedener Gemeinden aus der näheren Umgebung diente, Waldgebieten, die z. T. genossenschaftlich von mehreren Gemeinden genutzt wurden, wie z. B. dem gemeinsamen Waldbesitz der Dörfer Lachen und Hambach. Für eine solch genossenschaftlich genutzte Waldfläche war der heute nicht mehr gebräuchliche Fachbegriff „Geraide“ üblich.
(Eigene Aufnahme vom 19. August 2015)
Aus einer von mehreren, vom Pfälzerwald Verein höchst lobenswert ausgearbeiteten, daselbst angebrachten Schriftafeln zum chronologischen Verlauf des Besitzerwechsels der an die „Breite Loog“ angrenzenden Waldgrundstücke geht hervor, dass bereits 1805 und nachfolgend in den Jahren 1809 und 1821 die Gemeinde St. Lambrecht aus dem Elmsteiner Tal Waldbesitz erworben hat[18], der an den Knotenpunkt dieser „Loog“ grenzt.
Wenn es stimmt, wie es diese eine Schrifttafel unter Punkt 4 dem Wanderer mitteilt[19], dass bereits 1805 mit dem Aufkauf von Waldliegenschaften im Elmsteiner Tal durch die Gemeinde St. Lambrecht begonnen wurde, dann kann es sich hierbei nur um Bürgermeister Andreas Mattil handeln, dessen Person ich im Rahmen vorliegender Untersuchung in den Abschnitten 1 bis 3 versucht habe als ‚Bürgermeister‘ von Lambrecht für die Zeit von 1800 bis 1805 zu identifizieren.
Ob dieser Bürgermeister für die übrigen beiden Jahre 1809 und 1821 ebenfalls die ausschlaggebenden Amtshandlungen zu den weiteren Erwerbungen von Wald innehatte – sei es durch Vergleich oder Tauschgeschäfte – bleibt eine offene Frage.
Mit andern Worten,welche Person oder auch Personen in ihrer Eigenschaft als Bürgermeister von St. Lambrecht[20] für diese bedeutsamen, in eine existenzsichernde Zukunft weisenden Kaufakte als initiativ und gar federführend als Spiritus Rector respektive Spiritus Rectores (Pluralform) in der Abwicklung dieser Geschäfte tätig war respektive waren, darüber kann ich leider nur spekulieren. Klare, nachweisliche Fakten hierzu liegen mir nicht auf der Hand. Die Quellen, auf welche sich die Schrifttafeln für ihre Informationen berufen, geben mir hierzu keinerlei Auskunft.[21]
Ein Jahr nach der rechtlich wirksam gewordenen Beilegung des jahrhundertealten ‚Urstreits‘ zwischen den Ortschaften Lachen und Hambach, das dem Oberamt in Neustadt unterstand, dem Jahr 1829, wurde dieser ‚Friedenseinzug‘ in die Herzen der (inzwischen zur Vernunft gekommenen) einstigen ‚Streithähne‘ ostentativ gefeiert. In einmütiger Übereinstimmung aller drei amtlichen Vertreter der Orte Neustadt, Lachen und St. Lambrecht wurde die „Breite Loog“, so weit noch möglich, restauriert. Dieser als „Renoviert in Freundschaft“ bezeichnete Akt mit Datum vom 28. August 1829 wurde durch die in den Fels eingemeiselten Namen der drei Bürgermeister bekräftigt. Für St. Lambrecht hat in diesem Dreier-Gespann wieder ein Bürgermeister namens Mattil unterzeichnet.
Ausschnitt aus dem Grenzfels „Breite Loog“ links unten auf der Felsplatte mit den
heute noch einigermaßen gut lesbaren Einmeiselungen „Bürgermeister Mattil“ sowie
etwas weiter rechts daneben dem Jahr „1829“, in welchem eine ‚Renovierung‘ dieser
Gedenkstätte durch die drei Amtsvertreter ihrer Ortschaften Neustadt, Lachen und
St. Lambrecht, dem heutigen Lambrecht, vorgenommen wurde.
(Eigene Aufnahme vom 19. August 2015)
Ob es sich hierbei noch um den gleichen Mattil wie dem aus den Jahren 1800 und 1805 – vielleicht gar noch 1809 und 1821 – handelt, ist sehr zu bezweifeln. Zur damaligen Zeit entsprach es durchaus der patriotischen, familientraditionsbewussten Gesinnung vieler Eltern, den Sohn zu Ehren wie auch nur Nachahmung des Vaters mit dessen Vornamen zu versehen. Das war schon Tradition zu Zeiten der Römer. Es lässt sich daher – sofern andere Angaben fehlen – nicht eindeutig schlüssig sagen, ob es sich bei Personen mit gleichem Vor- und Nachnamen jeweils um ein und dieselbe Person handelt. Ebenso gut ist damit zu rechnen, dass unter dem Namen Mattil Brüder, Cousins usw. aus der Familienverwandschaft des von mir identifizierten Mattils zu suchen sind.
Eines aber lässt sich unumwunden summa summarum sagen in puncto aller namentlich genannten und untersuchten drei „Mattils“ aus den Jahren 1800, 1805 und 1829. Alle trugen sie zum Nutzen und Wohl ihres Lambrechts bei. Alle gehörten dem Bildungsbürgertum ihrer Zeit an. Alle waren sie geschäftstüchtig, dabei uneigennützig und pazifistisch eingestellt. Alle waren Wohltäter ihrer Zeit, vor allem ihres Lambrechts.
………………………….
Noch ein Wort in Form einer Randbemerkung zum Wert und zur Bedeutung von Wald damals.
Wenn wir heute an „Wald“ denken, assoziieren wir dieses Wort mit:
- Erholung in der Feizeit
- Spaziergängen
- Stille der Natur für uns lärmgeplagte Menschen
- Luftverbesserung durch mehr Sauerstoff aus fotosynthetisch erzeugtem Pflanzengrün
- Ankurbelung von Tourismus als Industrieersatz
um nur einige prototypische Konnotationswerte von „Wald“ zu nennen.
Im Gegensatz dazu war der Wald, insbesondere im frühen 19. Jahrhundert am Beginn des Industriezeitalters bei uns in „Deutschland“, von wirtschaftlich existenzieller Bedeutung für weite Bevölkerungsteile bewaldeter Gebiete.
Besitz von Wald war eine Quelle von Grundversorgung und Reichtum ganzer einzelner Gemeinden. Viele weniger begüterte Leute waren auf das Holzschlagrecht sowie das Sammeln von dürrem Holz im nahegelegenen, gemeindeeigenen Wald angewiesen. Dieses in den meisten Gemeinden von alters her per Urkunde verbriefte Nutzungsrecht besaßen grundsätzlich alle Mitglieder solcher Waldgemeinden.
Holz gestaltete den Tag, ja formte das Leben, den tagtäglichen Lebensrhythmus von Menschen.
Ein Kernbeispiel hierzu:
Mit Holz wurde der Herd eines Hauses in der Küche befeuert. Auf dem Herd wurde gekocht. Der Herd und mit dem Herd die Frau des Hauses bildeten den zentralen Mittelpunkt im gesellschaftlichen Geschehen einer Familie. Nur der Raum war wochentags über beheizt. Er war Anlaufstelle und Treffpunkt aller, für Besucher wie Familienangehörige. Da mehrmals am Tage zu kochen war, durfte das Feuer im Herd nicht ausgehen, war es doch mühsam, es ein zweites Mal zu entfachen. Kohle, Brickett zum Drauflegen gab es für die meisten Menschen (zu erschwinglichen Preisen) erst recht spät, etwa ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. So weiß ich noch von meiner Oma mütterlicherseits, dass es ihre Großmutter, also meine Ururgroßmutter, als eine Erleichterung, einen Fortschritt empfand, als man endlich über Brikett verfügte, mit denen man das Feuer am Glühen halten konnte. Auf diese Weise war es der Hausfrau eher möglich, die Küche zwischenzeitlich zu Einkaufszwecken usw. zu verlassen, ohne Angst haben zu müssen, dass das Feuer in der Küche ausgehen könnte.
Fazit meiner „Rede“:
Vor dem Hintergrund und im Spiegel all dieser oben beschriebenen Faktoren wird es nur allzu verständlich[22], dass es wegen des Besitzes und der Nutzungsrechte von Wald an der „Breiten Loog“ in vergangener Zeit oft zu Streitfällen kam, in deren Verlauf etliche Streitigkeiten in die Anwendung roher, brutaler Gewalt entgleisten.
[1] Der Transkription in die für uns heute allein vertraute lateinische Schrift sowie einer Interpretation des Inhalts dieser Abschrift habe ich mich in dem Abschnitt III)D) meiner Abhandlung „Werden und Wirken der ‚Mairie‘ (= Bürgermeisterei) Lambrecht im Laufe ihrer Geschichte“ gewidmet, die in der von mir eigens zur Verfügung gestellten pdf-Ausgabe zu Eingang des Traktats auf den Seiten 15 bis 23 nachzulesen ist.
[2] Zur Übersetzung dieses Begriffes schien es mir ratsam, ein Wort zu verwenden, das sinngemäß die Bestimmung und Funktion eines „Bürgermeisters“ erfüllt, sich aber von diesem insofern unterscheidet, als dass ein solcher ‚Gemeinde-Agent‘ in dieses Amt nicht gewählt, sondern von seiner übergeordneten Dienstbehörde, damals der Kantonalverwaltung in Neustadt, in diese Funktion berufen wurde.
[3] Zwar ist dem Text selbst nicht zu entnehmen, was die Leute bei Herrn Mattil „mahlen lassen“ (= font moudre), doch dürfte es sich um Korn bzw. Getreide handeln, was sinngemäß und syntaktisch grammatikalisch diesen Satzteil in der deutschen Übersetzung in eine korrekte Form bringt.
[4] Ich vermeide bewusst den Terminus „Bürger“ in dem Zusammenhang, da die Menschen zur damaligen Zeit eigentlich noch „Untertanen“ der jeweiligen (kirchlichen oder weltlichen) ‚Obrigkeit‘ waren statt Personen mit ‚Bürgerrechten‘, wie sie uns heute geläufig / vertraut sind.
[5] Ob mit leichter, flüssiger Hand geschrieben; elegant anmutend oder schwerfällig usw.
[6] Vgl. meine Ausführungen zu diesem Dokument in meinem Artikel „Werden und Wirken der ‚Mairie‘ (= Bürgermeisterei) Lambrecht …“ unter Abschnitt III)D). Siehe auch Anm.1
[7] Die Frage, wann genau, in welch zeitlichem Abstand zum Datum des Ratssitzungsprotokolls die Abschrift vorgenommen wurde, halte ich für irrelevant. Es ist davon auszugehen, dass a) sie nicht ganze Jahre nach der Anfertigung des Sitzungsprotokolls getätigt wurde, b) zur Identitätsfeststellung der Unterschriften in keiner Weise einen Beitrag leisten kann.
[8] Man möge schließlich nicht vergessen, dass sich die Unterschrift einer Person im Laufe der Jahre durchaus verändert, also mit der Person, sonst könnten Grafologen nicht feststellen, welchen Lebensabschnitten bestimmte Dokumente berühmter Persönlichkeiten aller Wahrscheinlichkeit nach zuzuordnen sind.
[9] Es möge mir in dem Zusammenhang der kleine Hinweis erlaubt sein, dass sich das lateinische Alphabet doch in starker Anlehnung an das griechische und dieses wiederum aus dem phönizischen entwickelt hat, das noch keine Vokale besaß, welche erst die Griechen dem Alphabet hinzufügten.
[10] was schließlich menschlich ist. Vgl. „Errare humanum est.“
[11] in den von mir untersuchten Ortschaften rings um Lambrecht von Elmstein und Weidenthal bis Forst und Ruppertsberg, um nur einige zu nennen
[12] d.h. vor allem die in deutschen Landen führenden Großstaaten Preußen und Österreich
[13] Gerne bezeichnen wir Deutschen uns als „Kulturnation“, haben wir doch im Gegensatz zu Franzosen und Engländern ein sehr schwieriges, geschichtlich anders gewachsenes Verhältnis zu dem Phänomen „Vaterland“ respektive „native country“.
[14] Im Gegensatz zu uns Deutschen, deren national geeintes Reich erst spät entstanden und seither oft geteilt worden ist, leben die Franzosen aus dem Gefühl und der Sicherheit der ‚unteilbaren‘ Einigkeit / Nation heraus, die für sie wie selbstverständlich gegeben ist. Es nimmt daher nicht Wunder, wenn im Kopf amtlicher Briefe aus den Jahren um 1800 die Rede von der „indivisible République (française)“ ist.
[15] Diese Attitüde darf keineswegs als naiv angesehen werden. Vielmehr ist sie eine ostentativ zum Ausdruck gebrachte Abwehrhaltung gegen die als aufgezwungen empfundene Herrschaft der Franzosen, die nun mit Hilfe der Revolutionskriege versuchten, das alte Ziel von Richelieu und Mazarin zu erreichen: „le Rhin“ (= den Rhein) als natürliche Ostgrenze Frankreichs. Im Kern der Sache ist / war dieses Ziel letztendlich zurückzuführen auf die geographisch-ethnologisch falsche Darstellung Caesars (in dessen Commentarii de bello Gallico), die Germanen wohnten östlich des Rheins, die Gallier (in dem von ihm gebrauchten Sinn identisch mit den „Kelten“) westlich = links des Rheins.
[16] damals bestehend aus den Orten Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg
[17] Siehe: Otto Reichart, Lachen-Speyerdorf, Heimatgeschichte, Mannheim 1966, S. 61
[18] Ob der Waldbesitz der „Haspeln“, der rechts des Speyerbachs vom Lambrechter „Beerental“ bis zum Lambrechter Ortsteil „Iptestal“ führt, mit den Kaufakten von damals erworben wurde, vermag ich nicht zu sagen. Nur gedeiht mir in dem Zusammenhang die Erkenntnis, dass Lambrechts heutiger Waldbesitzstand im Bereich des Elmsteiner Tals wohl hauptsächlich auf die weitsichtig angelegten Kaufakte von damals (zwischen 1805 und 1821) zurückzuführen ist.
[19] Ich zweifle nicht, dass dies zutrifft, ist doch davon auszugehen, dass die für diese Veröffentlichung hinzugezogenen Experten des Pfälzerwald Vereins genau und verlässlich recherchiert haben.
[20] So hieß Lambrecht in der vor- wie nachnapoleonischen Zeit damals (1828/29 z.B.) noch.
[21] Es sind dies: a) Otto Reichart a. a. O. b) der Beitrag von Paul Habermehl mit dem Titel ‚Waldschlacht am Breiten Loog – Bilanz und Hintergründe‘, erschienen im Heft „Die Hambacher …“, Nr.19/2001, S.8-11 c) der Beitrag von Bernhard Beck unter dem Titel ‚Die Schlacht am Breiten Loog im Jahr 1748 – Aus der Sicht des Familienforschers‘, erschienen im gleichen Heft „Die Hambacher …“, S.12
[22] „Verständlich“ will nicht heißen, dass die Anwendung von Gewalt in den betreffenden Fällen zu billigen gewesen wäre. Jede Art von Gewalt(anwendung) ist grundsätzlich zu missbilligen. Verstehen heißt aber auch, sich in die Lage des Andern, des Kontrahenten, hineinversetzen, um aus der situativen, zeitgebundenen Gefühls- und Existenzlage des Gegenübers sich ein besseres Urteil über dies(e) Person(en) bilden zu können. Geschichte ist nach Dilthey eine Verstehenslehre, die das Leben der Menschen nur aus der Multiperspektivitat und Multikausalität des zu Beurteilenden erfassen kann, und dies in salomonischer Abwägung aller erdenklichen Standpunkte zu einer bestimmten Falllage. Vorschnelle Urteile auf der Basis formaljuristischen Rechts tragen selten zur Wahrheitsfindung bei.