Werden und Wirken der « Mairie » (= Bürgermeisterei) Lambrecht
im Laufe ihrer Geschichte
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Inhaltsverzeichnis
Ausgangsfragen als Auslöser zur Untersuchung des Themas
I) Erste Gedanken zu dem ‚Rätsel II) Weitere Vermutungen/Hypothesen, die es anhand von auffindbaren Beweisen zu verifizieren oder auch zu falsifizieren galt III) Die Mairie-Verfassung der Ortsgemeinden – das französische Muster einer ‚Verbandsgemeinde’ zur Vereinfachung der Verwaltung, verbindlich in den linksrheinischen Gebieten Frankreichs eingeführt kraft Gesetzes vom 17.02.1800 A) Die Entstehungsgeschichte (→ Genesis) der Mairie (= Bürgermeisterei) Lambrecht, bestehend aus den Ortschaften Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg B) Der Aufbau einer Mairie und ihre Funktionsweise C) Der Munizipalrat (= Gemeinderat) der Mairie (= Bürgermeisterei) Lambrecht zur Zeit Napoleons D) Die Gestaltung des Unterrichtswesens in den drei Gemeinden der Mairie Lambrecht IV) Die Übernahme der französischen Gemeindeordnung in der Form der Mairie-Verfassung durch das Königreich Bayern auf dessen linksrheinischem Gebiet der Pfalz wenige Jahre nach dem Ende der Ära Napoleon V) 1837/38: Wendejahre von grundlegender Bedeutung für alle Mairien, in besonderer Weise für die von Lambrecht mit vorläufigem Abschluss im Jahre 1839 VI) Die namens- und verfassungsmäßige Entwicklung der Mairie Lambrecht ab dem Jahr 1839 A) Die namensgeschichtlichen Kuriositäten in diesem Werdeprozess B) Die Bürgermeisterei Lambrecht im Spiegel der erheblich novellierten Gemeindeordnung vom 01.07.1869 C) 1896, das Jahr, in welchem Lindenberg die Bürgermeisterei Lambrecht verlässt VII) Epilog Ziel dieser Arbeit Die Franzosen: ‚Befreier’ oder ‚Besatzer’? Das Transkribieren handschriftlich in (alt)deutscher Schrift abgefasster Texte in sofort lesbare, lateinische Druckschrift: Schwierigkeiten an versteckten ‚Fallen’ ohne Ende Brevier zum historischen Rahmenbedingungsfeld wie auch den Eckdaten zur Entstehung und Entwicklung der Mairie Lambrecht VIII) Bibliografie
Ausgangsfragen als Auslöser zur Untersuchung des Themas:
Wie war es möglich, dass nur ‚ein Gemeinderath’
im Wonnemonat Mai des Jahres 1838
die Vereinigung seiner Gemeinden ‚Lambrecht’ und ‚Grevenhausen’
zu einer Gemeinde beschließen konnte?
Paradoxie oder ‚verfassungswidrige’ Vorwegnahme
dessen, was erst noch zu vollziehen war?
- - - - -
Im Folgenden die Lösung und Ausleuchtung des ‚Rätsels’
in seiner bedeutungstragenden Grundstruktur
- I) Erste Gedanken zu dem ‚Rätsel’
Zwei Jahre lang habe ich mir den Kopf zerbrochen, in nächtelangen Sitzungen darüber nachgegrübelt, wie diese Dichotomie, dieser völlig undemokratisch wie unlogisch sich anmutende Widerspruch, dieses jedem Leser sofort ins Auge springende Paradoxon zu erklären / entschlüsseln ist, dass die Vereinigung der Gemeinden Lambrecht und Grevenhausen nur von einem Gemeinderat per Beschluss vom 27. Mai 1838 beantragt wurde.
So ist auf Seite 4 des acht Seiten umfassenden Dokuments dieses Antrags, von welcher Urkunde mir das Bayerische Hauptstaatsarchiv vor Jahren schon eine Fotokopie hat zukommen lassen, expressis verbis ganz deutlich auffallend nur die Rede von „dem Gemeinderathe“.
Zum Beleg dessen hier die interlinear wortgetreue Transkription der betreffenden Passage,
unter drucktechnischer Hervorhebung des Wortpaares, das das Rätsel für mich ausgelöst hat:
Wir erlauben uns daher die ehrfurchtsvolle Bitte, es mögen
Euere Königliche Majestät allergnädigst geruhen, die Vereinigung
der Gemeinden Lambrecht und Grevenhausen in eine Gemeinde
unter dem Namen Lambrecht-Grevenhausen auszusprechen, und aller-
gnädigst zu verordnen, dass diese Vereinigung unter den von dem
Gemeinderathe unter seinem Beschlusse vom 27. Mai 1838 beantragten
sachgemäßen Bedingungen vollzogen werde.
Zum genauen Abgleich – und zugleich zur Überprüfungsmöglichkeit der korrekten Wiedergabe meiner Lesart – anbei die Textstelle im Original, wie sie in altdeutscher Schrift abgefasst ist:
(Quelle mit Bestandssignatur: BayHStA, MInn 60071, Auszug aus S.4)
Immer wieder fragte ich mich:
a) Wer war dieser eine Gemeinderat? Aus welchen (gewählten?)
Vertretern setzte er sich zusammen?
b) Kann in der entsprechenden Passage auf Seite 4 des Antrags
ein Formulierungsfehler vorliegen, der sich dadurch
eingeschlichen hat, dass in der Schnelle, im Eifer des
Gefechtes die Plural- mit der Singularform verwechselt wurde?
Die b-Version meiner Vermutungen schied für mich im Grunde von Anfang an aus, erging doch der Antrag beider Gemeinden auf dem Dienstweg formal an seine Majestät, den König von Bayern, um schließlich von der Kammer des Innern beschieden zu werden. Die Einreichung dieses Antrags erfolgte über ein hierarchisch gegliedertes Verwaltungssystem. So wurde dieser Antrag auf seinem Weg nach oben in Form und Inhalt von den Zwischeninstanzen des Landkommissariats Neustadt/Weinstr. und der Königlichen Regierung in Speyer auf Herz und Nieren geprüft, bevor er ans Ziel in München gelang. Daher war es höchst unwahrscheinlich, dass allen drei ‚Gremien’ der gleiche sprachliche Fehler unterlaufen sein sollte, der nicht mehr als bloßer Lapsus Linguae anzusehen war, insofern er sinntragende, ja sinnrichtungsverändernde Bedeutung annahm.
II) Weitere Vermutungen/Hypothesen, die es anhand von auffindbaren
Beweisen zu verifizieren oder auch zu falsifizieren galt
Was den Punkt der ‚Verschmelzung’ beider Ortschaften anbelangt, so war ich zunächst, in Ermangelung historisch belegbarer Tatsachen als Beweismittel, auf reine Vermutungen angewiesen. Vermutungen, die mich ins Räsonieren versetzten.
So lag es – der Konstellation der Umstände/Bedingungsfaktoren entsprechend – für mich nahe anzunehmen, dass mit dem Antrag von 1838 lediglich administrativ formaljuristisch etwas nachgeholt werden sollte, was de facto längst vollzogen war: das Ineinander-Gewachsensein zweier Ortschaften, die für jeden Außenstehenden nur noch als eine Gemeinde erkennbar waren und deren neue Einheit einer mittlerweile überfällig gewordenen, rechtlichen Absegnung bedurfte.
Offen in diesem Überlegungsprozess waren für mich vor allem zwei Fragen:
a) War diese Verquickung beider Gemeinden das Ergebnis eines inzwischen abgeschlossenen, organisch sozialökonomisch gewachsenen Prozesses im Verlauf der gemeinsamen Geschichte beider Ortschaften? b) Oder hatten gar schon die Franzosen im Laufe ihrer ‚Besatzungszeit’, etwa 40 Jahre zuvor, also vor dem Jahr 1838, die ‚Verschmelzung’/Vereinigung beider Ortschaften per Erlass/Verwaltungsakt angeordnet? Waren es also die Franzosen, die die ‚Dinge’ vor Ort, so wie sie sie antrafen, in eine bessere, vorteilhafter handhabbare Praxis umsetzten?
Wie so oft in der Geschichte – wie auch im Leben eines jeden von uns – sollte auch in diesem Falle die Lösung zu diesem, einem gordischen Knoten vergleichbaren Fragenkomplex wie ein Deus ex Machina vom Himmel herabfallen und mir ‚zu Hülf’ kommen: ungeahnt und wundersam zugleich.
III) Die Mairie-Verfassung der Ortsgemeinden – das französische
Muster einer‚ Verbandsgemeinde’[1] zur Vereinfachung der
Verwaltung, verbindlich in den linksrheinischen Gebieten
Frankreichs eingeführt kraft Gesetzes vom 17.02.1800
Den Funken zur Lösung des Problems erhielt ich durch einen entscheidenden Hinweis aus der Feder von Herrn Dr. Franz Maier, dem Leiter der Abteilung für Staatliches Schriftgut im Landesarchiv Speyer. Vorausgegangen war dieser ‚Glücksnachricht’ per elektronischem Brief vom 17.07.14 ein von meiner Seite her unablässig instigierter, intensiv wie gedanklich tiefschürfend geführter Briefwechsel mit diesem ‚brilliant mind’ eines Archivvertreters, an dessen (vorläufigem) Ende sich endlich Licht im Dunkel zu diesem Kernaspekt der Lambrechter Namens- und Ortsgeschichte abzeichnete.
A) Die Entstehungsgeschichte (→Genesis) der Mairie (=Bürgermeisterei) Lambrecht,
bestehend aus den Ortschaften Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg
Wer nun der gutgläubigen Annahme ist, das Gesetz vom 17.02.1800[2] enthalte eine mustergültige Erklärung zur Aufschlüsselung der Frage, nach welchen Kriterien genau die Gruppierungen der Einzelgemeinden zu Mairien[3] vorzunehmen waren, der sieht sich leicht enttäuscht.
Noch bevor mit dem Frieden von Lunéville im Jahre 1801 die linksrheinischen Gebiete reichsrechtlich und damit de iure endgültig an Frankreich abgetreten wurden, versuchte das Direktorium, die Machzentrale in Paris seit 1795, die von Frankreich auf dem linken Rheinufer eroberten Gebiete dem französischen Staat einzuverleiben. Veranlassung und Gelegenheit dazu fand das Direktorium in den Vereinbarungen mit Österreich im Frieden von Campo Formio (17.10.1797). In diesem Friedensschluss gestand Österreich der französischen Nation die Aneignung der linksrheinischen Territorien zu, hat damit einen Status quo für Frankreich vorweggenommen, der von Frankreich erst Jahre später, auf der rechtlichen Grundlage des Friedens von Lunéville hätte vollzogen werden dürfen.
So war es der Friede von Campo Formio (1797), der im Gremium des Direktoriums den Wunsch entstehen ließ, von der Bildung einer Cisrhenanischen Republik als neuem, Frankreich untertänigen Vasallenstaat abzusehen und statt dessen diese neu eroberten linksrheinischen Gebiete dem französischen Territorium einzuverleiben.
Die Eingliederung und harmonische Integration jener Gebiete mit samt ihrer Bevölkerung in das französische Staatsgebiet erforderte freilich eine ganze Reihe von Maßnahmen. Diese waren hauptsächlich verwaltungstechnischer Natur. Sie erzeugten – neben der seit 1798 verpflichtenden Einführung der französischen Sprache als ‚Amtssprache’ – einen Riesenumschwung in diesen Gebieten, welche erst einmal in vier neue Departements eingeteilt wurden, um so den Angleichungsprozess an das hauseigene französische Verwaltungssystem zu gewährleisten.
Der Mann, der dieses Wunder der administrativen Analogisierung / Anhebung der neuen Gebiete an die Verwaltungsstruktur und –praxis Frankreichs bewirken sollte, war der gebürtige Elsässer Franz Joseph Rudler, Richter am Kassationsgericht in Paris. Seine Ernennung zum Regierungskommissar mit quasi außerordentlichen Vollmachten[4] zur durchgreifenden Neuordnung dieser Gebiete erfolgte am 4. November 1797.
Diese Dienstanweisung an Herrn Rudler umfasst 13 Artikel. Sie kann nachgelesen werden bei Joseph Hansen[5], der sie in der Originalfassung der französischen Sprache über dreieinhalb Seiten hin wiedergibt, versehen mit Kommentar und biografischen Angaben zur Person Rudlers, auf Deutsch natürlich, der Muttersprache Hansens.
Die in der Weisung an Herrn Rudler enthaltenen Bestimmungen / Anordnungen fasst Hansgeorg Molitor in einer voluminösen Monografie[6] mit dem Haupttitel Vom Untertan zum Administré wie folgt zusammen:
Demnach sollte Rudler das Land in völlig neue, möglichst große Verwaltungs- und
Gerichtsbezirke einteilen, die erforderlichen Beamten ernennen, Steuern und Abgaben
erheben, den Bevölkerungsstand erfassen und aus den französischen Gesetzen, die in
dem inzwischen annektierten Belgien mittlerweile veröffentlicht worden waren, die für
das linke Rheinufer geeigneten auswählen und ebenfalls publizieren.
[Die Hervorhebung mittels Fettdruck stammt von mir.]
Dieser Erlass des Direktoriums bildet zusammen mit weiteren Erlassen die Grundlage für die Arbeit Rudlers. So ist es nicht verwunderlich, wenn noch vor der gesetzlichen Verankerung / Festschreibung dieser Verwaltungsneuordnung in der ‚Loi’ vom 17.02.1800 in deutschen Landen links des Rheins, speziell in unserem kleinräumig besiedelten Gebiet der Mittelpfalz größerflächige Verwaltungseinheiten in Form von Gemeindeverbänden = Mairien = Bürgermeistereien entstehen. Wann genau, mit welchem ‚arrêté’ (Verfügung, Verwaltungsanordnung), die Mairie Lambrecht mit ihren beiden zugehörigen Orten Grevenhausen und Lindenberg aus der Taufe gehoben wurde, lässt sich (vermutlich) nicht mehr feststellen.[7] Jedenfalls habe ich in den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen im Landesarchiv Speyer keinen förmlichen Akt gefunden, der darüber Aufschluss geben könnte.
Was statt dessen urkundlich erhalten ist, handschriftlich in französischer Sprache niedergelegt, das betrifft die ‚Vereinigung’ = Zusammenlegung der zwei Gemeinden Elmstein und Iggelbach. Sie geht auf ein ‚arrêté’ vom 11. April 1798 (22 germinal an 6) zurück und wird in einem weiteren Schreiben vom 19. Mai 1798 (30 floréal an 6) ausführlich begründet. Den dominanten Part in dieser Neuschaffung sollte Elmstein bilden, « cette dernière commune prétend d’avoir la prérogative » [wörtlich übersetzt: die letztere Gemeinde behauptet das Vorrecht zu haben (worüber auch immer) = beansprucht dieses, erhebt Anspruch darauf), wie es an entsprechender Stelle heißt. Freilich neige ich nach eingehender Sichtung dieser Urkunde zu der Ansicht, dass es sich hier nicht um die Bildung einer Mairie handelt, wie im Falle Lambrechts, sondern um die De-facto-Vergemeindung zweier zuvor unabhängiger, selbständiger Gemeinden zu einer Gemeinde. Kurze Zeit später (= noch vor 1817) muss noch Appenthal zu Elmstein dazugeschlagen worden sein, sodass Iggelbach und Appenthal praktisch durchgehend bis zum heutigen Tag zu Ortsteilen von Elmstein umgewandelt wurden.
Als Beweisstück für diese meine Vermutung / Auslegung dient mir eine Bekanntmachung im „Amtsblatt der Königl. Baierischen Regierung des Rheinkreises“ vom 26.11.1817, Speyer, Sp.529f. und 533. Aus dieser Veröffentlichung geht nicht nur die „Kantonal-Eintheilung“ der linksrheinischen Gebiete Bayerns hervor, der Pfalz bzw. des „Rheinkreises“, sondern auch die Gemeinden, soweit sie als juristisch selbständige ‚Behörden’ gelten, die befugt sind, in persona ihres Bürgermeisters die Belange ihrer Gemeinde vor Gericht zu vertreten.
Hier nun die drei betreffenden Spalten zum Beleg meiner Interpretation
in puncto Elmstein/Iggelbach/Appenthal:
(Landesbibliothekszentrum / Pfälzische Landesbibliothek Speyer, weitere Quellenangaben:
selbstevident)
Aus der Formulierung „Begreift die Gemeinden“ in Spalte 529 ist der
Schluss zu ziehen, dass es sich bei den in alphabetischer Reihenfolge
angeführten Ortschaften um ‚politisch’ selbständige Gemeinden handelt.
(Landesbibliothekszentrum / Landesbibliothek Speyer, zur genauen Quellenangabe vgl. vorangehende Abbildung)
Wie aus diesem Ausschnitt der bereits genannten Veröffentlichung/Bekanntmachung zu ersehen ist, werden die Gemeinden Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg als ureigene, körperschaftsselbständige Gemeinden angeführt, während im Falle Elmsteins die einst selbständigen Ortschaften Iggelbach und Appenthal als Ortsteile in den Ort und die Gemeinde von Elmstein integriert sind.
B) Der Aufbau einer Mairie und ihre Funktionsweise
Zwar blieben die einzelnen Gemeinden einer Mairie (= Bürgermeisterei) rein formal in ihrer Eigenständigkeit, ihrer ‚souveränen’ Stellung als Körperschaft eigenen Rechts mit eigenem Vermögen usw. erhalten, doch hatten sie alle, einschließlich der den Namen tragenden Hauptgemeinde, nur ein höchst eingeschränktes Mitbestimmungsrecht, das man mit dem freien Selbstbestimmungsrecht heutiger Gemeinden und Verbandsgemeinden nicht vergleichen kann. So stand an der Spitze einer Mairie nur ein Bürgermeister, dem ein Munizipalrat = Gemeinderat zur Seite stand, welchem die Repräsentanten /(Interessens)vertreter aller Einzelgemeinden angehörten. Weder war der Bürgermeister frei wählbar, noch waren es die Mitglieder des Munizipalrats. Dies hatte seinen ganz bestimmten Grund, der in der Staatsauffassung Frankreichs zu suchen ist.
Diese Auffassung ist:
a) das Ergebnis einer eigenen geschichtlichen Entwicklung, die in Frankreich verwaltungsstrukturell anders verlief als in ‚Deutschland’ b) meiner Beurteilung nach dem Einfluss einer bestimmten Lehre des Philosophen Jean-Jacques Rousseau zu verdanken
Zu a):
Während sich Frankreich im Zeitalter des Absolutismus zu einem Zentralstaat entwickelte, marschierte das ‚Heilige Römische Reich Deutscher Nation’, welche Bezeichnung sich für ‚Deutschland’ mit dem Ende des Mittelalters einbürgerte, in Richtung eines konföderierten Staates.
Während es Frankreich unter Ludwig XIV. gelungen war, die partikularen Interessen des (Provinz)adels auszuschalten, indem er den Adel ins Zentrum nach Versailles zu holen wusste, konnte in Deutschland, einer Wahlmonarchie, die Macht der Kurfürsten, geistlichen wie weltlichen Fürsten, Territorialherren und Landstände nicht gebrochen, kaum eingeschränkt oder unterbunden werden. Resultat dieser in Deutschland anders verlaufenen Geschichte ist die kulturelle Vielfalt, aber auch politisch landsmannschaftliche Zersplitterung unserer föderativen Republik. In deutschen Landen konnte sich nie ein Absolutismus à la Frankreich unter Ludwig XIV., in Dimension und Stärke dieser Herrschaftsform durchsetzen.
Zu b):
In seinem Traktat « Du contrat social » (dt. Titel: ‚Der Gesellschaftsvertrag’) unterscheidet Rousseau zwischen zwei Willensformen respektive –phänomenen: a) der volonté générale, der volonté de tous. Während die volonté générale den für die gesamte Nation absolut nützlichen Gemeinwillen darstellt, verbergen sich in der volonté de tous die in ihrer Zielsetzung divergierenden Einzelinteressen der einzelnen Individuen, Gruppen usw. Als Träger der volonté générale kann daher durchaus eine Person an der Spitze des Staates in Erscheinung treten, wie dies in der Konsulatsverfassung Napoleons vom 24.12.1799 zum Ausdruck kommt.
Es ist diese Staatsauffassung, nach der der Staat zentral hierarchisch von oben nach unten gegliedert ist, vom Ersten Konsul, Napoleon, über die Departements, Arrondissements bis zu den Kommunen, den Mairien, ihren Gemeinderäten = conseils municipaux, Bürgermeistern und Adjunkten (= Beigeordneten). D. h. prinzipiell haben alle nachgeordneten Dienststellen und Entscheidungsinstanzen eine lediglich formal demokratische Funktion, insofern sie dem Willen Napoleons untergeordnet sind, der allein den Gemeinwillen der Nation verkörpert. Daher auch die ständige Emphase auf der in schier allen amtlichen Schreiben vorkommenden Formel ‚République une et indivisible’, wobei ‚indivisible’ = ‚unteilbar’ sich nicht nur auf das Territorium Frankreichs bezieht, sondern auch auf abstrakte Gehalte wie das Ideengut und die Zielvorstellungen Frankreichs.
Gemessen an den Verhältnissen der damaligen Zeit wird einer Mairie ein recht großzügiges Mitbestimmungsrecht eingeräumt. Kein Wunder daher, dass dieses Muster einer Gemeindeordnung in den von Frankreich nicht besetzten Gebieten zur Nachahmung anregte und dort die Grundfeste jeden Restes absolutistischer Herrschaft erschütterte. Was freilich Umfang und Reichweite der Kernpunkte dieses Beschlussfassungsrechts anbetrifft, so wird dieses zugleich wieder durch zwei herausragende Bestimmungen minimiert, restringiert, wenn nicht gar konterkariert.
Das wichtigste Recht eines jeden Parlaments, gleich auf welcher Ebene, ist das Budgetrecht: das Recht zur Festlegung und Verabschiedung des Haushalts, der sämtliche Ein- und Ausgaben eines Staates, eines Landes, einer Gemeinde umfasst. Über dieses Etatrecht, wie man es noch nennt, verfügt auch der Munizipalrat. Die Tatsache freilich, dass der vom Rat beschlossene Haushalt vom Bürgermeister zur Prüfung und endgültigen Entscheidung dem Unterpräfekten vorzulegen ist, dem Leiter des jeweiligen Arrondissements, dem die Gemeinde angehört, höhlt dieses Mitbestimmungsrecht aus, stellt es auf schwache Füße, lässt es gar zur Farce erstarren. Was nützt es da, wenn die einzelnen Sachgebiete, über die sich das Beratungs- und Beschlussfassungsrecht des Gemeinderats erstreckt, penibel genau aufgeführt[8] werden, wenn der vom Rat beschlossene Haushalt nur eine Vorlage ist, die, je nach Bedarfsfall, von nur einem Mann abgeändert, ergänzt oder gar in toto mit einem Federstrich verworfen werden kann?
Eine weitere Komponente dieser Gemeindeordnung (Mairie-Verfassung) lässt bei näherer Betrachtung erheblichen, weil durchaus berechtigten Zweifel darüber aufkommen, ob der Gemeinderat den ihm gestellten Aufgaben gewachsen ist, überhaupt entsprechen, ja gerecht werden kann. So werden die Mitglieder des Rats zwar für drei Jahre ernannt, die Sitzungsperiode zu Beginn eines jeden Jahres dauert allerdings nur bis zu 14 Tagen. Wie soll ein Gemeinderat die ihm zugedachte Arbeit gewissenhaft erledigen (= die Dinge sichten, erörtern, beschließen) angesichts solch verhältnismäßig kurzer Zeit, die ihm zur Verfügung steht? Nur dem Präfekten, der obersten Spitze eines Departements, war es vorbehalten, zusätzlich « par ordre » eine außerordentliche Sitzung einzuberufen.[9]
Im Fazit zu diesen Überlegungen wird man – zumindest aus heutiger Sicht – den Eindruck nicht los, beschleicht einen das irgendwie untrügliche Gefühl, dass diese Munizipalräte lediglich das Erfüllungsorgan einer monopersonalen Herrschaftsstruktur waren.
C) Der Munizipalrat (= Gemeinderat) der Mairie (= Bürgermeisterei) Lambrecht
zur Zeit Napoleons
Die Anzahl der Mitglieder eines « conseil municipal » (= Gemeinderats) richtet sich gemäß einer Bestimmung in Art. 15 des Gesetzes vom 17.02.1800 proportional nach der Einwohnerzahl einer jeden Mairie. Die kleinste Einheit bilden alle Einzelgemeinden und Gemeindeverbände, deren Bewohner die Zahl von zweieinhalb tausend nicht übersteigt. Die Munizipalräte all dieser Gemeinden bekommen jeweils zehn Mitglieder zugewiesen. Den Vorsitz der Räte dieser Größenordnung führt ein Maire (= Bürgermeister), dem als Vertreter ein Adjunkt (= Beigeordneter) zugeordnet ist.
Im Falle Lambrechts, wie übrigens auch der andern drei Mairien des Lambrechter Tals, der von Elmstein, Neidenfels (mit Frankeneck zu einer Mairie verbunden) und Weidental, bewegt sich die Einwohnerzahl zur damaligen Zeit stets unterhalb von zwei tausend. Dies ist belegbar anhand einer Statistik, deren ich habhaft werden konnte im Laufe meiner Recherchen und die wohl für viele Bürger der Talgemeinden auch heute noch interessant sein dürfte. Daher möchte ich sie niemandem vorenthalten, sondern beehre mich, sie hier in diesem Kontext – nicht nur als Beweismittel – präsentieren zu dürfen. Wie aus einer Notiz des Landesarchivs Speyer auf dem Deckblatt zu dieser Statistik hervorgeht, beziehen sich die Einwohnerzahlen auf das Jahr VIII ≈ 1800: (aus G 2 Nr.346)
Auf den ersten Blick ist man von diesem ästhetisch angelegten, überschaubaren Zahlenwerk angenehm überrascht. Alles scheint höchst akkurat geordnet zu sein, wie wenn man mit dieser Statistik alles im Griff, sofort verfügbar hätte. Ein zweiter, eingehender Blick lässt Fragen aufkommen.
So wundern sich Kenner der Materie darüber, wieso mit der neuen Einteilung der Franz. Republik (vom 17.02.1800) in die zwei Verwaltungseinheiten von Departements und Arrondissements noch die vormals übliche Gliederung in Kantone auftaucht. Aus der einschlägigen Sekundärliteratur zu diesem Aspekt kann man immer wieder erfahren, dass diese Kantonaleinteilung auch mit der neu eingeführten Verwaltung, die größere Untereinheiten favorisierte, nicht außer Gebrauch zu kriegen war. Und dies aus rein praktischen Gründen. Mit Hilfe und auf Basis der alten Kantonaleinteilung ließen sich einfach optisch bessere, weil rasch erfassbare Übersichten aus statistischen Erhebungen erstellen.
Wie aus dem Deckblatt zu dieser Statistik hervorgeht, sollten auf Grundlage dieser Zahlen die anstehenden Ernennungen – der Bürgermeister, Beigeordneten und Ratsmitglieder – auf der nächsten Sitzung vorgenommen werden.[10] So weit, so schön, so gut, so einleuchtend.
Unter heimatkundlichem Aspekt betrachtet, fallen dem heutigen Bewohner dieser Region mit Sicherheit sofort zwei Phänomene auf, die in ihm ein Schmunzeln hervorrufen.
Die hier aufgelisteten Kommunen des Kantons Neustadt decken sich im Wesentlichen mit denen aus unserer Zeit, als – noch vor der letzten Verwaltungsreform zur Neueinteilung der Landkreise – Neustadt an der Weinstr. Kreisstadt war, bevor es zur kreisfreien Stadt erklärt wurde und als Resultat aus dieser Maßnahme die Gemeinden, die ihm bisher angehörten, dem neu gegründeten Kreis Bad Dürkheim zugeschlagen wurden (1972). War früher für die Bewohner der Talgemeinden ‚alles’ bürgernah über die Kreisstadt Neustadt zu erreichen, so müssen heute die Einwohner aus Elmstein und ihrer entfernt liegenden Annexen, um nur ein Beispiel zu nennen, eine umständliche wie beschwerliche (Welt)reise nach Bad Dürkheim antreten, um zu der für sie zuständigen Kreisverwaltung[11] zu gelangen.
Der zweite Faktor, der einem bei weiterer Begutachtung dieser Statistik ins Auge springt, ist die demografische Entwicklung, die in den letzten zwei Jahrhunderten einen so rasanten Verlauf genommen hat. Während die Stadt Neustadt selbst noch um 1800 rund 4.300 Einwohner zählte, hat sie heute im gleichen Kernstadtbereich – ohne die zahlreichen Eingemeindungen – annähernd 27.000, also gut das Sechsfache von damals. Als Hauptursache für diese beachtliche Steigerung – in allen andern Orten ebenfalls - dürfte meines Erachtens die Industrialisierung anzusehen sein, die in Deutschland im Gegensatz zu England erst mit dem beginnenden 19 Jahrhundert richtig einsetzte. Dieses Zeitalter der Industrialisierung brachte eine Bevölkerungsexplosion mit sich, auf deren Auslöser hier in diesem Kontext einzugehen zu weit führen würde.
Abschließend und zu guter Letzt in der Würdigung dieser Statistik sei noch ein Highlight hervorgehoben, auf das ich schon in anderm Zusammenhang unter III)A) Absatz 9 hingewiesen habe. Auch hier wieder lässt sich am Beispiel Elmsteins erkennen, dass kleinere Ortschaften und Weiler wie Iggelbach oder Appenthal in die jeweils nächstgelegenen Kommunen subsumiert sind. Sie erscheinen nicht mehr als selbständige Gemeinden, sind sie doch integrativer Bestandteil anderer Gemeinden geworden.
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Ein in dem Zusammenhang höchst aufschlussreiches ‚Schmankerl’, das zugleich herzerquickend für so manchen Betrachter sein dürfte, ist eine handgeschriebene Akte, die ein Verzeichnis der
Mitglieder aller Gemeinderäte (= Munizipalräte) im Arrondissement Speyer enthält. Diese tabellenartig angelegte Übersicht[12] spiegelt die ‚Sachlage’, den Stand der Verhältnisse des Jahres XII (≈ 1804) wieder, in welchem sie auch erstellt wurde.
Aus dieser Akte herausgegriffen habe ich mir das Blattteil des überdimensional großen Dokuments, das für diese Untersuchung in so lehrreicher Hinsicht – nicht nur aus beweistechnischen Gründen – in Frage kommt.
Hier die Abbildung zur eigenen Erstorientierung, bevor ich die für uns relevanten Details daraus zu beschreiben, erläutern, interpretieren suche:
(Quelle: Landesarchiv Speyer, aus Bestandsakte G 6 Nr. 521)
Wie man auf den ersten Blick erkennen kann, sind auf diesem Ausschnitt die vier Mairien = Bügermeistereien der damaligen Lambrechter Talgemeinschaft abgebildet. Jede dieser vier ‚Verbandsgemeinden’ französischen Formats ist – bis auf die Ausnahme Weidenthals – mit einem Munizipalrat (= Gemeinderat) zu je zehn Mitgliedern ausgestattet. Alle Mitglieder sind:
a) namentlich erfasst, wobei ihr nachgestellter Vorname (in Rubrik fünf)
überwiegend in der französischen Schreibweise wiedergegeben ist
b) mit Angabe ihres Wohn- bzw. Geburtsorts[13] versehen
c) gleich in der ersten Spalte mit dem Jahr ihrer Ernennung gekennzeichnet
oder, was die jüngsten Ernennungen anbetrifft, sogar mit genauem Datum
von Jahr und Tag ausgewiesen, ganz gemäß dem zu der Zeit für
Frankreich (und seine besetzten bzw. dem Staat längst einverleibten
Gebiete) gültigen republikanischen Kalender.
Die Ernennung zu Ratsmitgliedern erfolgte aufgrund von « Arrêtés de Nomination » (= Ernennungs-verfügungen), wie aus der Kopfeintragung zu den Spalten 2 bis 4 hervorgeht, welche in dieser Abbildung fehlt. Diese Verfügungen wurden laut Art. 20 des Gesetzes vom 17.02.1800 ausschließlich vom Präfekten eines Departements vorgenommen und als solche veraktet. Ernannt wurden die Mitglieder zu ihrem ‚Amt’ auf die Dauer von drei Jahren. Wiederernennung war möglich, und zwar unbegrenzt oft, wie man die entsprechende Textpassage des Gesetzes zu interpretieren hat.[14]
Mit Hilfe solch rational in Tabellenform angelegter Statistiken war es den Verwaltungsoberen bis hin zu den Führungskräften in Paris ein Leichtes zu ersehen, wes Amtszeit abgelaufen war, nach erfolgreicher Bewährung verlängert werden konnte und dergleichen mehr.
Auch scheint mir, dass die Gemeinderäte ortsparitätisch besetzt waren, ganz im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Orte, die einer solchen Mairie angehörten. Insofern herrschte doch eine gewisse Gerechtigkeit angesichts der Tatsache, dass im Grunde alles, jeder Erneuerungsvorschlag zugunsten einer Mairie von oben geregelt wurde und die Räte innerhalb dieser Prozedur nur ein Beratungsrecht hatten, aber noch kein eigentliches Mitbestimmungsrecht.
Zum Vergleich[15] hier noch einmal die Munizipalräte (= Gemeinderäte) der
4 Mairien des Lambrechter Tals in der Umschrift –
Bezugsjahr: an XII = 24.09.1803 – 22.09.1804
D) Die Gestaltung des Unterrichtswesens in den drei Gemeinden
der Mairie Lambrecht
Ein Beispiel wunderbar gelungener Kooperation von Bürgermeister und dem aus den drei Gemeinden von Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg bestehenden Munizipalrat der Mairie Lambrecht wird aus der von Bürgermeister Mattil unterschriebenen und damit beglaubigten Abschrift eines Sitzungsprotokolls aus dem Jahr 1805 deutlich. Bevor ich diese Niederschrift in ihrer deutschsprachigen Originalfassung wie auch ihrer Transliteration in lesbare, lateinische Druckschrift hier vorlege, um auf zentrale Punkte ihres Inhalts einzugehen, möchte ich doch in einer Art Einleitung den historisch bedingten Hintergrund zu diesem Thema ein wenig beleuchten.
Parallel zur Neuordnung der Verwaltungsstruktur in den vier linksrheinischen Departements verlief auch die Angleichung des Unterrichtswesens an das französische Bildungssystem.
Das Jahr 1798 spielte dabei ein ganz entscheidende, in seiner Auswirkung geradezu revolutionäre Rolle. Mit der Neugliederung der Gemeindeverwaltung ging die forcierte Einführung des Französischen als Amtssprache einher. Bevorzugt als « agents municipaux », den Vorläufern der « maires » (= Bürgermeister), wurden Personen ins Amt berufen, die neben ihrer Muttersprache im Lesen und Schreiben auch des Französischen mächtig waren. Die Umsetzung dieses Zieles war freilich nicht überall von Erfolg gekrönt. Der Unmut, der sich darüber in allen Schichten der Bevölkerung breit machte, war durchaus verständlich. Kein Wunder, dass sich nun passiver Widerstand gegen die französische Besatzungspolitik regte, deren Endabsicht mit einem Schlag offenbar wurde: die Einverleibung der deutschsprachigen Gebiete der vier neu eingerichteten, linksrheinischen Departements in das französische Staatsgebiet. Die entschiedene Ablehnung, die Entrüstung führender Kräfte der einheimischen Bevölkerung über die Maßnahme und das Tempo, mit dem sie umgesetzt wurde, war für mich spürbar beim Durchforsten zahlreicher, erhalten gebliebener Dokumente aus dem Jahr 1798. So baten nicht nur in den Talgemeinden, sondern auch in Ortschaften wie Deidesheim und Ruppertsberg die zu „Bürgermeistern“ designierten oder gar schon ernannten Personen darum, von ihrem Amt zurücktreten zu dürfen, und dies oft unter Anführung weit herbeigeholter, fadenscheiniger Gründe. Den Franzosen wurde klar, dass eine einfühlsamere, behutsame Vorgehensweise erforderlich sein würde, um ihre Zielvorstellungen wie die der Einführung der französischen Sprache realisieren zu können. Und in der Tat bedurfte es einer Übergangsphase von einigen Jahren, bis sich die deutschsprachige Bevölkerung mit den neuen Verhältnissen einigermaßen abgefunden hatte. Einer Sprache, wie der der deutschen, liegt auch eine Denkausrichtung, Lebensauffassung, Mentalität zugrunde, erwachsen aus / geprägt von gemeinsamer Sprache und Geschichte, die eine Schicksalsgemeinschaft, Schicksalsverbundenheit darstellt. Eine Sprache durch eine andere zu ersetzen, sie gegen eine andere auszutauschen, gelingt, wenn überhaupt, erst im Laufe von Jahrhunderten.[16]
Zur Vermittlung der französischen Sprache und in Verbindung damit einer nationalpatriotischen Gesinnung muss ein Bildungswesen dienen, das es für diesen Zweck zu instrumentalisieren gilt.
Nur wer die Jugend (von seinen Wertvorstellungen überzeugt) hat, sie hinter sich weiß, kann mit ihr (s)einen Staat aufbauen, kann beruhigt in die Zukunft blicken.
Die Gestaltung, Organisation und Kontrolle des Schulwesens wird daher zur schier ausschließlichen Angelegenheit des Staates, in dessen Hände sie jetzt unter Anwendung folgender Maßnahmen gelegt wird, Maßnahmen, die Ausfluss der Französischen Revolution waren und bis heute sind:
a) die Verstaatlichung (Säkularisierung[17]) der Schulen, was bedeutete, dass die Geistlichkeit, die Kirche, die seit dem Mittelalter im Besitz des Bildungsmonopols war, dieses Privilegs enthoben wurde b) die einzustellenden Lehrer wurden staatlich auf ihre Qualifikation für diesen Beruf geprüft - durch unter Regierungskommissar Rudler eigens dafür eingerichtete ‚Unterrichtsjurys’ c) die Einführung einer angemessenen, festen Besoldung für Pädagogen, die sich im Laufe der Zeit an die Vorgaben von Lehrplänen sowie andere Richtlinien des Staates zu halten hatten (und haben).
Nach diesem Riesenvorspann, der den Rahmen für die best funktionierende Kooperation zwischen Bürgermeister und Munizipalrat der ‚Samtgemeinde’ Lambrecht auf lokalem ‚Bildungssektor’ abgeben möge, nun hier das zweiseitige Dokument im Original:
(Quelle: Landesarchiv Speyer, Bestand G 6 Nr. 215 I / 28)
Hier die (satz)zeichen- und buchstabenidentische Umschrift des Dokuments, so weit sie mir mit Hilfe zweier ‚Schriftexperten’ möglich war:
Auszug aus dem Register der Beschlüße des Munizipal-Raths der Mairie Lambrecht. Sizung vom 21 Pluviose 13.[18]
Die Mairie und Munizipal-Rath von Lambrecht versammelt in Gemäßheit des Gesezes vom 28ten Pluviose Jahr 8[19] wie auch des Schlußes des Präfekten vom 24 Nivose Jahr 12[20] und des Unterpräfekten vom 2ten und 17. dieses Monaths[21] um über besondere Gegenstände zu berathschlagen, hat nach ablesung obiger geseze und Schlüßen folgendes beschloßen. öffentlicher Unterricht. 1° Jedes Kind von 6 bis 14 Jahren, muß die Schule Täglich zweimal besuchen. 2° Die Eltern sind verantwortlich für jede Nachläßigkeit, und gleichgültigkeit welche welche dieselben bei dem Schulen Unter- richt ihrer Kinder beobachten werden. 3° zu dem Ende sind dieselben gehalten das Schulgeld für ihre Kinder obigen Alters zu zahlen, dieselbe mögen die Schule besuchen oder nicht. 4° Die Kinder der reformirten Sekte als die zahlreichsten zahlen Monatlich wie gewöhnlich fünf Kreuzer.
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5° In ansehung der Katholischen Schule der Gemeinden Lambrecht und Grävenhausen und da ein Schluß des Hr. Unterpräfekten vom 14ten Thermidor Jahr 12[22] dieselben in eine einzige zu Graevenhausen vereiniget dem Schullehrer Antony 6 Kreuzer monatlich vom Schüler bewilliget, so bleibt dieser Schluß in seiner völligen Kräft, solange bis der Hr. Unterpräfekt auf reclamation welche ihm von misvergnügten, wenn welche dagegen vorhanden, solten gemacht werden, wird anderst verfügt haben. 6° Soll der Unterricht der Schüler in Lindenberg provisorisch wie bisher von dem Schullehrer von Graevenhausen ertheilt werden, welcher sich Täglich in diese Gemeinde zu begeben hat. Jedoch soll dieselbe besorgt sein einen für sich ins besondere zu haben, welcher auser der Kost 66 gulden beziehen wird. Gegenwärtiger beschluß soll dem Hn Unterpräfekten zur genehmigung vorge- legt werden. Der Maire und Munizipal- Rath unterschrieben. für gleichlautende Abschrift Mattil |
[18] = 10.02.1805 nach dem gregorianischen Kalender
[19] = 17.02.1800
[20] = 15.01.1804
[21] = 22.01. und 06.02.1805
[22] = 02.08.1804
Während aus etlichen Nachbargemeinden, wie z. B. der von Deidesheim, ganze ‚Berge’ zum Thema Primarschulen / Unterrichtswesen auf Ortsebene erhalten sind, konnte ich im ‚Faszikel’ (= Aktenbündel) von Lambrecht nur ein einziges Dokument entdecken, das obendrein lediglich die Abschrift eines Originals ist.
Dennoch bin ich froh, dass ich dieses Dokuments habhaft werden konnte, gewährt es doch einen durchaus wertvollen, weil aufschlussreichen Einblick in Zustand und Entwicklungsvorhaben des Bildungswesens vor Ort, hier der Mairie / ‚Samtgemeinde’ Lambrecht im Jahre 1805.
Inhaltlich gesehen handelt es sich um eine Beschlussfassung, die eine Kehrtwende in der Organisation des Unterrichtswesens einleitete. Die Kernpunkte, die hier für alle am Unterricht beteiligten oder mitwirkenden Kräfte / Parteien festgelegt wurden, ebneten den Weg in ein neues Zeitalter, das des staatstragenden Bildungsbürgertums (→ Funktion des Adels passé).
Als wegweisend revolutionäre Neuerungen ragen folgende Punkte aus dem Beschluss heraus:
A) „öffentlicher Unterricht“
Was heißt das konkret und im Einzelnen?
Der Unterricht wird von Staats wegen angeordnet und staatlich überwacht.
Mit der Säkularisierung (= Verstaatlichung) der Schulen und anderer
Bildungsinstitutionen wird die Kirche ihres Bildungsmonopols beraubt, das
nun in die Hände des Staates übergeht[23]. Die Teilnahme am Unterricht, das
Recht auf Bildung ist damit nicht ausschließlich den Vermögenden,
Bessergestellten, quasi als Privileg vorbehalten. Bildung wird zum Rechtsgut
für alle.
B) Schulgeldpflicht (der Eltern)
Das wird heute natürlich als eine unverschämte, Bildungschancen verhindernde
Forderung angesehen, die nicht mehr dem Zeitgeist entspricht, glaubt man doch
die Klassengesellschaft durch eine ‚offene’ Gesellschaft mit ‚unlimited opportunities’
für alle überwunden zu haben.
Allerdings wird man einer Beurteilung dieser pekuniären Belastung für die Eltern nur
gerecht, sieht man sie im Kontext der nie abebbenden Steuerlasten zur Finanzierung
der Kriege Napoleons. Unter dieser erdrückenden Last hatte die gesamte Bevölkerung
des zu Frankreich neu hinzugekommenen linksrheinischen Staatsgebiets sehr zu leiden.
Wenn einerseits die Lehrer eine ihrer Tätigkeit und Verantwortung angemessene
Besoldung erhielten, die wohl größtenteils, wenn nicht gar exklusiv aus den Einnahmen
des Schulgeldes bestritten wurde, waren andrerseits die Gebäude, das Inventar an
Schulmöbeln und die Unterrichtsmittel wie Tafeln, Kreide usw. vom Staat selbst zu
tragen, in unserem Fall von den drei Gemeinden (aus deren Steuer- und
Abgabeaufkommen).
So blieb die Frage der Finanzierung des öffentlichen Schulwesens ein ‚Dauerbrenner’,
der bis zum Ende der napoleonischen Herrschaft nie richtig gelöst wurde, gleich, mit
welchen Ansätzen man ihm zu Leibe zu rücken versuchte.[24]
C) Schulbesuchsregelung: Unterrichtsteilnahmepflicht (= Schulpflicht)
konfessionsgetrennt für alle Kinder
im Alter von 6 bis 14 Jahren
Im Kernansatz hat sich diese Regelung fast zwei Jahrhunderte lang bewährt, wie die
Praxis gezeigt hat.
Noch zu meiner Zeit, als ich die ersten vier Jahre der Volksschule besuchte (1953-57),
wurden wir Kinder in nach Konfessionen aufgeteilten Klassen unterrichtet. Welchen
Vorteil dies gehabt haben soll, ist mir nie ersichtlich geworden. Oft waren die
Hofpausen erfüllt mit ‚Kriegserklärungen’ und ‚Kriegsgeschrei’ der Protestanten
gegen die Katholiken. Welch ein Unsinn als Ableger, Auswuchs einer falsch
verstandenen Erziehungsgrundhaltung!
Was sich aber in der Tat erstaunlich lange bewährt hat, das sind die acht Jahre
verpflichtenden Schulbesuchs. So hatte man im Regelfall mit dem Alter von 14 Jahren
mit dem Schulabschluss die Berufsreife erreicht, konnte also in eine Berufsausbildung
gehen. Zugleich feierte man – als Protestant – mit der Konfirmation als einer Art
‚Initiationsritus’ die Aufnahme in die Gemeinschaft seiner Kirche als gleichberechtigter
Erwachsener mit vollem aktivem und passivem Wahlrecht zur Wahl des
Presbyteriums, des den Pfarrer unterstützenden und entlastenden Verwaltungsrats
einer protestantischen Kirchengemeinde.
Erst in relativ jüngster Zeit hat man das schulbesuchspflichtige Alter de facto um
zwei Jahre verlängert. In einer ersten Stufe wurde die Schulbesuchspflicht um
ein Jahr verlängert, lange nachdem die gute alte Volksschule – den Geist der Zeit
widerspiegelnd – in eine Grund- und eine Hauptschule unterteilt wurde. Wiederum
Jahre später hat man erkannt, dass auch dies nicht reichte, um Absolventen der
Hauptschule das Rüstzeug mit auf den Weg zu geben, das zu einer qualitativ hohen,
vielversprechenden Berufsausbildung inzwischen erforderlich war. Mir persönlich
war in meiner Eigenschaft als Anglist bereits Jahrzehnte zuvor bewusst geworden,
dass angesichts der gestiegenen Anforderungen einer Gesellschaft, die sich infolge
einer mehr und mehr automatisierten Industrie total verändert hat, der für alle
verbindliche Grundbildungsweg – analog zum Schulwesen in Großbritannien –
der zur Mittleren Reife ist, dem Sekundarstufenabschluss I. Und damit war klar:
die Hauptschule war zu einem Modell der Vergangenheit geworden, hatte sich überholt
und wurde hier in Rheinland-Pfalz daher auch vor wenigen Jahren administrativ
ad acta gelegt = aufgehoben, aus dem Verkehr gezogen. Im Grunde wurde das
althergebrachte, dreigliedrige Schulsystem von Haupt-, Realschule und Gymnasium
damit in ein zweigliedriges verwandelt. Es werden nun mindestens 10 Schuljahre
benötigt, um einen Schulabgänger berufsfähig zu machen, ihn in die Lage zu
versetzen, den Erwartungen aus der Arbeitswelt mehr als in ausreichendem Maße
gerecht zu werden.
Dennoch darf aus der Retrospektive von heute resümiert werden: Respekt vor der
von Weitsicht getragenen Erkenntnis, wie sie aus vorliegendem Protokoll zum
Vorschein kommt, dass 8 Jahre Schulbildung, werden sie richtig und maßvoll
verabreicht, dazu dienen können und gar ausreichen, um einem jungen Menschen
die Rahmenbedingungen zu geben, die er für seine berufliche Ausbildung braucht.
D) feste Besoldung der Lehrkräfte
Da die Bezahlung der Lehrkräfte wohl hauptsächlich aus Mitteln des Schulgeldes
erfolgen musste, wie dem Text nicht anders zu entnehmen ist, war im Kern der Sache
zu entscheiden, wie, in welcher Höhe, von welchen Eltern welcher Einkommensklasse
und für welchen Zeitraum das Schulgeld zu berechnen und einzuziehen war.
Was diese Frage anbetrifft, so ist die unter Punkt 5 der Niederschrift geäußerte
Vorahnung, ja Befürchtung, es könnte Unmut darüber aufkommen, dass die einen
Eltern mehr Schulgeld zu bezahlen hatten als die andern, leicht nachvollziehbar.
Dennoch ist der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nicht verletzt, geht man davon
aus, dasss alle Eltern Anspruch erheben auf gleiche Unterrichtsqualität für ihre Kinder,
dieser Unterricht aber so gut wie ausschließlich aus Mitteln des Schulgeldes zu
bestreiten war. Rein optisch und damit oberflächlich betrachtet sieht es aus wie eine
himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn die katholischen Eltern ihrer Kinder
monatlich einen Kreuzer mehr berappen müssen als ihre protestantischen Pendants.
Indes muss man Folgendes berücksichtigen, um diese scheinbare Ungleichbehandlung
zu ergründen und sie auf der Basis der so gewonnenen Erkenntnis aufzuheben,
zumindest als minder gravierend anzusehen:
Bedenkt man, dass die Bevölkerung Lambrechts damals etwas über 1.100
Einwohner ausmachte, davon weit über zwei Drittel der reformierten
Glaubensrichtung der Protestanten angehörten, Grevenhausen hingegen
nur ein Drittel der Einwohner von Lambrecht aufwies, wenngleich
so gut wie alle davon römisch katholisch waren, so kommt man dem
Schlüssel für diese ungleiche Verfahrensweise auf die Spur.
Diesem Umstand ungleicher Einwohnerzahl in beiden Gemeinden und
innerhalb derselben zusätzlich noch ungleichen Proporzverhältnisses zwischen
Protestanten und Katholiken musste bei der Erhebung des Schulgeldes
Rechnung getragen werden, solange beide Konfessionen getrennt voneinander
in eigenen, ortsbezogenen (Schul)gebäuden zu unterrichten waren. Zur
Gewährleistung gleichen Unterrichtspensums und gleicher Unterrichtsqualität
war es daher unvermeidbar, dass eine Minderzahl von Eltern für das gleiche
Gehalt der Lehrperson(en) aufkommen musste. Dass dies natürlich für Unmut
und Befremden sorgen würde, war voraussehbar. Für den Moment aber war
keine andere Alternative greifbar, um öffentlichen Unterricht für alle
schulpflichtigen Kinder zu ermöglichen. Sicherlich war diese Lösung nur von
temporärer Natur. Langfristig gesehen war die Lastenverteilung zur
Finanzierung der Lehrergehälter grundlegend zu revidieren.
Im Zusammenhang mit Punkt 6 des Protokolls ergeben sich eine Reihe klärungsbedürftiger, aber offen bleibender Fragen:
1) Wie soll derselbe Lehrer, der zweimal am Tag – ich gehe davon aus, dass damit vormittags und nachmittags gemeint ist – die katholischen Kinder in Grevenhausen zu unterrichten hat, physisch wie zeitlich in der Lage sein, noch am gleichen Tag seinen Unterricht in gleicher Güte und gleichem Umfang den Kindern Lindenbergs zu erteilen? Das muss doch eine äußerst erschöpfende Belastung für Herrn Antony bedeutet haben, selbst wenn diese Pflichtauferlegung nur ‚provisorischen’, also vorübergehenden Charakters war, in der Art einer gerade noch zumutbaren Zwischenlösung.
2) Die permanente Lösung, für die Lindenberg selbst zu sorgen hatte, bestand in der Bestallung eines ortseigenen Lehrers. In Anerkennung und als Entschädigung für seine Dienste war ihm ein fester Gehalt in Höhe von 66 Gulden zugedacht. Und dies bei freier „Kost“. Aus diesen etwas dürftigen Angaben ergeben sich zwangsläufig zwei Fragen: a) Ist mit dem Stichwort „Kost“ auch automatisch ‚Logis’ impliziert, so dass der Text präzise von „Kost und Logis“ sprechen müsste? b) Auf welchen Zeitraum, wenn nicht den jährlichen, beziehen sich die 66 Gulden? Analog zum übrigen Text müsste man den monatlichen Zahlungsmodus annehmen, war doch das Schulgeld in monatlichen Abständen zu entrichten. Und wer möchte sich schon inkonsequenter Denkweise bezichtigen lassen? Freilich wäre es höchst abwegig, da höchst unwahrscheinlich, anzunehmen, dass ein Primarschullehrer damals mit 66 Gulden pro Monat entlohnt wurde, während noch 30 Jahre später in Bayern beispielsweise die bestbezahlten Lehrkräfte (höheren Dienstgrades) im Jahresschnitt 400 Gulden verdienten.
In abschließender Beurteilung dieser Niederschrift muss man zur Feststellung gelangen, dass der in ihr enthaltene „beschluß“ in all seinen Festsetzungen vom Unterpräfekten garantiert so genehmigt wurde. Weshalb, inwiefern? Die Antwort liegt auf der Hand, wirft man nur einen gezielten Blick auf die formaljuristisch in zwingender Logik ausgearbeitete Struktur des Protokolls. Dem Unterpräfekten bleibt im Grunde keine andere Wahl, als diesem „beschluß“ sein Plazet zu geben. In der Prämisse, der Einleitung zur Beschlussfassung des Ergebnisprotokolls wird in höchst konkreter, ja raffiniert detaillierter Weise die rechtliche Grundlage dargelegt, auf die sich dieser „beschluß“ stützt und aus welcher er letzten Endes resultiert. Es ist diese, sich in 4 Punkte gliedernde Rechtsbasis, die auch der Unterpräfekt nicht wegleugnen kann.
Also ein taktisch geschickt angelegtes, formal wie inhaltlich höchst gekonntes Schreiben, das – gemessen an den Umständen und Möglichkeiten der damaligen Zeit – nicht viel besser hätte niedergeschrieben werden können. Ich würde sagen: Chapeau! Anerkennung für dieses Paradestück rechtskonformer, realitätsnaher Schulpolitik auf lokaler Ebene.
Von unmaßgeblicher Bedeutung ist in dem Zusammenhang die Doppelfrage, wann die Abschrift vorgenommen und wann genau sie vom Bürgermeister in ihrer Echtheit ‚ratifiziert’ wurde.
IV) Die Übernahme der französischen Gemeindeordnung in der Form
der Mairie-Verfassung durch das Königreich Bayern auf dessen
linksrheinischem Gebiet der Pfalz wenige Jahre nach dem Ende
der Ära Napoleon
Aus dem Herzogtum Bayern war 1806 im Zuge der Rheinbundgründung ein Königreich entstanden, das unter dem Protektorat Napoleons sein ursprüngliches Staatsgebiet fast verdoppeln konnte.
Primäres Anliegen des zur Königswürde emporgestiegenen bayerischen Monarchen musste es daher sein, das Konglomerat der neu hinzu erworbenen Gebiete mit dem Territorium Altbayerns[25] zu verschweißen, um den mit Hilfe Napoleons errichteten Status quo Bayerns in neuer Größe zu festigen. Mit andern Worten, es galt – analog zu den USA – ein „unum e pluribus“ (= Eines aus vielem/vielen), aus vielen Ethnizitätselementen[26] ein homogenes Staatsgebilde zu schaffen, das sich auf die Dauer als bestandsfest, weil bestens funktionsfähig erweisen würde.
Wie das geht, wie man ein extensives Staatsgebiet heterogener Völkerschaften beherrschen und zentralstaatlich verwalten, regulieren kann, das haben uns schon die Römer gezeigt. Wie oft sind diese ‚klassischen’ Säulen ihres Imperiums mustergültig nachgeahmt worden.
Diese Festigung des zu beachtlicher Größe angewachsenen neuen Bayerns war nur durch eine Modernisierung des Staates zu erreichen, eine Anpassung an das Ideengut aus der Französischen Revolution, die dem Zeitalter des Absolutismus den Todesstoß versetzte und Raum schuf zur Verwirklichung liberaldemokratischer Gedanken. Die Phase der Modernisierung Bayerns setzte bereits unter der Ägide des großen Korsen ein. Freilich bedurfte es auch in der nachnapoleonischen Zeit einer beherzten Fortsetzung dieser Politik, um das neue Bayern in seinem Bestand zu konsolidieren.
Im Grunde ist das angeblich neue, bahnbrechende Gedankengut aus der Franz. Revolution eine leicht abgeänderte Neuauflage dessen, was uns schon die Römer so erfolgreich vormachten. Das die Einheit eines großen Flächenstaates diverser Ethnien erzeugende Band besteht unleugbar aus zwei Elementen: a) einem einheitlichen, gleichen Recht für alle – unabhängig von Religion, Sprache, Genderzugehörigkeit usw., b) einem Verwaltungssystem mit funktionierendem Verwaltungsapparat, gekennzeichnet durch Steuergerechtigkeit usw. Und genau diese beiden Prinzipien nahm sich der vormals herzogliche Kurfürst Maximilian IV. Joseph in seiner neuen Eigenschaft als König Maximilian I. Joseph zu Herzen, als er mit zwei Maßnahmen seinem geliebten Bayern den Impuls zur Stoßrichtung einer Entwicklung gab, die modernzeitlich freiheitlichen Gedanken geöffnet war, auf dass sich die Bürger mit ihrem Staat, ‚ihrem’ Bayern identifizieren sollten.
In kurzem Abstand zueinander werden in ein- und demselben Monat des Jahres 1818, dem die Natur[27] zu neuem Leben erweckenden Monat Mai[28], zwei Verfassungswerke erlassen, die sich gegenseitig ergänzen und in revidierter Form ihre positive Auswirkung bis ins 20. Jahrhundert
haben sollten:
a) das Gemeindeedikt am 17.05.1818[29]
b) die landständische Verfassung Bayerns[30] am 26.05.1818
Wer nun glaubt, der Gesetzmäßigkeit formaler Logik folgen zu müssen, geht mit der von Maximilian Joseph erlassenen „Königl. Verordnung: die künftige Verfassung und Verwaltung der Gemeinden im Königreiche betr.“ in die Irre, insofern sich diese Verordnung – wie man vom Titel her schlussfolgern müsste – in ihren Wesenszügen nur auf das rechtsrheinische Bayern bezieht.
Dieser offenbar werdende Widerspruch geht aus mehreren Fakten hervor:
a) der Übernahme der von den Franzosen hinterlassenen Kantonaleinteilung im Rheinkreis, wie die Pfalz als 8. Kreis Bayerns bis einschließlich 1837 offiziell bezeichnet wurde, mit Wirkung vom 17.11.1817[31] - in der Chronologie der Verordnungen dem Gemeindeordnungserlass, dem ‚Gemeindeedikt’, das sich formal auf das gesamte Königreich bezieht, vorgeordnet b) der „Ernennung der Bürgermeister und Adjuncten“ in den „Bürgermeistereyen“ der Kantone Neustadt und Dürkheim durch das „Land-Commissariat“ Neustadt per königlicher Genehmigung vom 15.11.1819[32] c) aus der Nichtbekanntmachung des Gemeindeedikts vom 17.05.1818 und dessen dazugehöriger Wahlordnung vom 05.08.1818 im amtlichen Veröffentlichungsorgan für den Rheinkreis – so festgehalten in der Einleitung zur „Instruction für die Wahl der Bevollmächtigten“ zur letztendlichen Erfassung der Vertreter für die 2. Kammer der Ständeversammlung, wie sie per Landesverfassung vorgesehen war, im „Amtsblatt der Königl. baierischen Regierung des Rhein-Kreises“, Nr. XXVI, Speier [sic], 02.12.1818, Sp.894[33] d) aus der ‚Präambel’ bzw. dem Vorspann zum Gesetz vom 17.11.1837[34], das Wahl, Aufbau und Funktion der Gemeinderäte im Rheinkreis von Grund auf neu regelt. Allein aus der Bezugnahme dieses Gesetzes auf die drei rechtlichen Kern- grundlagen aus französischer ‚Vormundschaftszeit’, Basisbestimmungen, die es abzuändern galt, geht einwandfrei hervor, dass der Typ der Mairie-Verfassung auch nach der Übernahme der Pfalz durch Bayern im Jahr 1816 dort weiterhin Bestand hatte, und dies in offen zu Tage tretender Diskrepanz zum Gemeindeedikt vom 17.05.1818. Auf die Einzelheiten dieser zu modifizierenden Grundelemente aus französischer Zeit werde ich an anderer Stelle dieser Arbeit gebührend eingehen.
Von fundamentaler Bedeutung ist die unter obigem Punkt b) angegebene Bekanntmachung. Fundamental deswegen, weil die hier im Jahre 1819 angeführte Aufteilung der (vorder)pfälzischen Mairien in Einzelgemeinden und ‚Samtgemeinden’ mit relativ wenigen Veränderungen bis ins 20. Jahrhundert Bestand hatte, mit Überlebensformen zum Teil bis in diese Tage.
Ich denke, sie ist eine Fundgrube für viele Bewohner des Lambrechter Tales und der am Fuße der Haardt gelegenen Orte. Eine Schatztruhe, in der sie nach (den) Namen ihrer Vorfahren stöbern können, die sie mit Stolz erfüllen mögen, insofern diese Personen Entscheidungsträger politischer Willensgestaltung in einer Phase des Umbruchs in ein neues Zeitalter waren. Vielleicht erfassen wir beim Anblick dieser Namen erst – wenn wir uns die Taten / Leistungen dieser Personen Revue passieren lassen – was die „maiores“[35] (= Vorfahren) schon für die alten Römer bedeutet haben: Vorbilder, die es nachzuahmen galt, und dies nicht aus egoistischen Gründen reiner Selbstzwecke, sondern zum Nutzen, Erhalt und Vorteil der Großgemeinschaft, des Staates, aus dem sie ihre Wurzeln schlugen, aus dem heraus sie schließlich lebten.
Ebenso erhellend werfen die Ortsangaben in diesen Tabellen ein bezeichnendes Licht auf die Vernetzung, ja Verflechtung einzelner Ortsparzellen zu einem organisch funktionierendem Ganzen, einer mehr als lebensfähigen, weil wirtschaftlich gedeihenden Mairie, einer Symbiose aus ursprünglich getrennt von- und nebeneinander existierenden Kleinortschaften: einer Verquickung von Orten als Einzelgemeinden zu einer ‚Großgemeinde’, wie sie sich in vielen Fällen bis heute erhalten hat.
Daher hier an dieser Stelle die von mir mit eigenem Fotoapparat aufgenommenen beiden Seiten zu vorbezeichneten Angaben aus dem Jahr 1819 in tabellarisch geordneter Übersicht:
(Standortquelle für beide fotografischen Reproduktionen: Landesbibliothekszentrum / Pfälzische Landesbibliothek Speyer, Bestandssignatur: Palat. 659/2)
Welch ein Umschwung, welch eine Wende, welch eine Veränderung in der ‚Mairienlandschaft’ der Talgemeinden, wie wir sie noch aus dem Jahr 1804 kennen![36]
Während im Falle Lambrechts alles beim Alten geblieben ist – Grevenhausen und Lindenberg zählen nach wie vor zur Bürgermeisterei Lambrecht – erstaunt es uns doch, welch neues Bild sich in puncto Mairieneinteilung und Zuordnung der einzelnen Gliedgemeinden zu den Mairien ergibt.
Im Einzelnen dürfen wir bei der Aufschlüsselung der Ortsangaben aus dieser zweiseitigen
Übersicht folgende „Verschiebungen“ und ‚Mutationen’ anderer Art festhalten:
a) Frankeneck bildet mit Neidenfels eine eigene Mairie. Welche eine Umkehrung der Verhältnisse! Aus Neidenfels, dem Namen gebenden ‚Oberhaupt’ einer eigenen Mairie, der noch wenige Jahre zuvor Frankeneck zugeordnet war, ist nun ein Ort geworden, der unter die Führungsrolle, unter die ‚Fittiche’ Frankenecks gesteckt wird. Muss das nicht ehrverletzend gewirkt haben auf die Bürger von Neidenfels“? Wer lässt sich in seinem ‚Status’ schon gerne herabsetzen, herunterstufen durch solch einen Rollentausch? Aus einstiger Prestige gründender Vorrangstellung wird ‚Nachrangigkeit’. Welche Gemeinde eigener historisch gewachsener Wertigkeit lässt sich schon gerne unter die namentliche ‚Hegemonie’ einer Nachbargemeinde ‚subsumieren’? Wie die von mir so angesprochene Gefühlslage der Neidenfelser wohl tatsächlich ausgesehen hat, darüber lässt sich letzten Endes nur spekulieren. b) Der Mairie Elmstein wird – mindestens seit Nov. 1817, wie aus S. 5f. zu erkennen ist – nebst Iggelbach noch Appenthal zugeschlagen. c) Weidenthal bildet eine Mairie, die in ihrer Konstitution auf den eigenen Ort beschränkt / begrenzt wird.
Im Ergebnis haben diese unter a) bis c) angeführten Veränderungen eine Verwaltungsvereinfachung erbracht. Von den 4 Mairien aus der Zeit um 1804 sind 15 Jahre später nur mehr 3 übrig geblieben.
Dies entspricht ganz dem modernen Motto „Die Verwaltung schlanker machen, um Einsparungseffekte an Zeit und Geld zu erzielen“. Aber auch dies kostet einen Preis, der nicht immer vorhersehbar ist, sich auch nicht immer nur in Geldmengen umsetzen lässt.
Eines freilich ist mit dieser amtlichen Veröffentlichung aus dem Jahr 1819 beweistechnisch unwiderlegbar sicher gestellt: Mit der Übernahme dieses Gemeindegliederungsystems in Mairien besteht auch für die Mairie Lambrecht, die sich aus den Orten Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg zusammensetzt, nur ein Gemeinderat, der knapp 20 Jahre später, im Mai 1838 den Antrag auf Vereinigung der beiden Gemeinden Lambrecht und Grevenhausen zu einer Gemeinde stellt.
V) 1837/38: Wendejahre von grundlegender Bedeutung für
alle Mairien, in besonderer Weise für die von Lambrecht
mit vorläufigem Abschluss im Jahre 1839
Einen mächtigen Schritt, eine Öffnung zu mehr Demokratie auf Gemeindeebene stellt das Gesetz vom 17.11.1837 dar[37], das gemäß der neuen Verfassung Bayerns unter Zustimmung Ludwigs I. von beiden Ständekammern des Königreiches verabschiedet[38] wurde.
In Verbindung mit zwei Ausführungs- bzw. Vollzugsverordnungen[39] regelt dieses Gesetz[40] vollständig neu:
a) die Anzahl der stimmberechtigten Mitglieder des Gemeinderats[41]:
Aus 10 Mitgliedern werden im Falle Lambrechts mit nicht mehr als 2.500 Einwohnern 16 Mitglieder, zuzüglich des Bürgermeisters[42] und der 3 dieser Mairie zustehenden Adjuncten (= Beigeordneten), insofern diese 4 Personen in Übereinstimmung mit Artikel I des Gesetzes stimmberechtigt sind. In summa beläuft sich die Zahl der stimmberechtigten Mitglieder des Lambrechter Gemeinderats auf 20. Demzufolge müssen es genau 20 Ratsmitglieder gewesen sein, die nach vollzogener Neuwahl und konstituierender Sitzung am 27. Mai 1838, einen Tag nach dem Verfassungstag Bayerns, den Antrag auf Zusammenlegung respektive Vereinigung der beiden Gemeinden Lambrecht und Grevenhausen beschlossen und auf dem Dienstweg über das Landkommissariat Neustadt an der Haardt und die königliche Regierung in Speyer an die Kammer des Innern, das Innenministerium in München eingereicht haben. b) die Anzahl der Jahre, nach welcher die Hälfte der Gemeinderatsmitglieder neu zu wählen ist:
Nach Art. IV Absatz 1 des Gesetzes wird der Gemeinderat „in seinen gewählten Mitgliedern“ alle 5 Jahre „zur Hälfte“ erneuert. Um diese Reduzierung von 10 auf 5 Jahre zu ermöglichen, musste Artikel 12 des Senatsbeschlusses vom 16. Thermidor X (= 04.08.1802) aufgehoben werden, wie in der Einleitung zum Gesetz vom 17.11.1837 vermerkt wird[43]. c) wer passives Wahlrecht besitzt, um als wählbarer Kandidat an der Gemeinderatswahl teilnehmen zu können. Zwar ist das Recht auf Wählbarkeit nach Art. II des Gesetzes kein Zensuswahlrecht im eigentlichen Sinne, insofern es nicht an eine bestimmte „Steuer-Summe“ gebunden, aber an Besitz geknüpft ist. Es ist einem Besitzbürgertum vorbehalten, das gemäß Art. II Absatz 3 in drei unterschiedlich groß zubemessene Steuerklassen eingeteilt ist, die sich ihrerseits aus drei Größenkategorien von Einwohnern der Städte und Märkte ergeben.
Aber nicht nur dieses passive Wahlrecht weist einen unverkennbar timokratischen Verfassungszug auf, insofern politisches Mitspracherecht Leistungen für den Staat in Form von Steuern und sonstigen Abgaben voraussetzt, sondern auch – man möchte fast sagen ‚analog dazu’ – das aktive Wahlrecht.
Dieses wird in besagtem Gesetz freilich nicht festgelegt bzw. näher beschrieben. Es lässt sich aber aus der „Instruction“ vom 25.11.1818 ersehen, die einen Auszug aus der Wahlordnung vom 05.08.1818 wiedergibt. Danach müssen Bürger „ein häusliches Anwesen haben, und dabei besteuerte Gründe besitzen, oder besteuerte Gewerbe ausüben“, so Art. 2 Absatz 3 der Wahlordnung. Vom Wahlstimmrecht ausgeschlossen sind auch „die bloßen Miethbewohner“ (Art. 7 Absatz 1).
Nimmt man eine Beurteilung dieses Wahlrechts vor, wird man der Sache nicht gerecht, wenn man es mit den Maßstäben aus heutiger Zeit misst. Bedenkt man, dass dieses Wahlrecht in eine Zeit fällt, in der es galt Abschied zu nehmen vom ‚Geist’ des hörigen Untertans, dem Liten-/Laetentum unfreier, an die Scholle gebundener Bauern, den Zünften und Gilden, die jeder Gewerbefreiheit und Konkurrenz entgegenwirkten, so war dieses Wahlrecht ein beachtlicher, weil beherzter Schritt in die rechte Richtung liberal marktwirtschaftlicher Demokratie.
VI) Die namens- und verfassungsmäßige Entwicklung der Mairie
Lambrecht ab dem Jahr 1839
A) Die namensgeschichtlichen Kuriositäten in diesem Werdeprozess
Der am 27. Mai 1838 vom Gemeinderat der Mairie Lambrecht gestellte Antrag auf Vereinigung der beiden bis dahin selbständig geführten Gemeinden Lambrecht und Grevenhausen zu einer Gemeinde wurde im darauffolgenden Jahr am 16. Juni vom Innenministerium der bayerischen Regierung genehmigt, allerdings in Verbindung mit einer kleinen Änderung. Der mit dem Antrag eingereichte Vorschlag zur Namensgebung der neuen Gemeinde lautete auf ‚Lambrecht-Grevenhausen’. Dem wurde so nicht stattgegeben. Das Innenministerium befand, dass in Würdigung des Jahrhunderte alten, geschichtlich mit ‚St. Lambrecht’ bezeugten Namens die vom Antragsteller überbrachte Namensversion zu korrigieren war. Gegen diese mit der Genehmigung einhergehende Namenszuweisung auf ‚St. Lambrecht-Grevenhausen’ wurden seitens des Gemeinderats der Mairie offenbar keine Einwendungen vorgebracht. Zumindest sind uns solche nicht bekannt, insofern es hierfür keine Belege gibt.
Im amtlichen Veröffentlichungsorgan der bayerischen Regierung wird der Vollzug der Vereinigung beider Gemeinden knapp einen Monat später, also praktisch unverzüglich, wie folgt bekanntgegeben:
(aus: „Königlich Bayerisches Amts- und Intelligenzblatt für die Pfalz“, Jahrgang 1839,
Nr. 34 vom 09. Juli, Speyer, S.299 – Landesbibliothekszentrum / Pfälzische Landesbibliothek Speyer)
Ab diesem Zeitpunkt der Vereinigung zweier Gemeinden zu einer bestand die Mairie Lambrecht nur noch aus zwei Gemeinden: Lindenberg und St. Lambrecht-Grevenhausen.
Aus dieser Tatsache, diesem neu eingetretenen Umstand, müsste man nun rein logisch gesehen folgern, dass mit der neuen Namensgebung auch die Mairie selbst umzubenennen war. Schließlich wird jede Mairie, sofern sie aus mehreren Gemeinden besteht, stets nach der benannt, in der sich der Verwaltungssitz befindet, von der aus sie verwaltet wird, also nach der Hauptgemeinde eines solch mehrgliedrigen Kombinats. Dieses Prinzip hat sich – mit wenigen historisch bedingten Unterbrechungen – bis heute so erhalten, denkt man nur an die Verwaltungsstruktur der Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz[44].
Was nun die Praxis der Handhabung dieses neuen Namens anbetrifft, so lässt sich leicht feststellen, dass diese novellierte Nomenklatur Lambrechts sich nicht einmal in den offiziellen Veröffentlichungsorganen der Amtsblätter und Statistischen Jahrbücher für die Pfalz durchgesetzt hat. Bereits wenige Jahre nach der Umbenennung der Sitzgemeinde der Mairie tauchen in den Amtsblättern Schrumpfformen des Namens auf, wie ‚Lambrecht-Grevenhausen’ und zu guter Letzt schließlich nur mehr ‚Lambrecht’. Dass der klobig wirkende Doppelname, zu monströs und wenig einprägsam allein vom Erscheinungsbild her, kein Durchsetzungsvermögen, keine Überlebenschance haben würde, war voraussehbar und verwundert wohl niemanden. Dass aber außer dem Drittbestandteil ‚Grevenhausen’ auch noch der historisch gewachsene Erstbestandteil ‚St.’ wegfallen würde, das verwundert schon sehr.
So war bereits in den 1860er Jahren die 1839 kreierte Neuschöpfung dieses Namens praktisch komplett aus den Vermeldungen der Amtsblätter verschwunden. Und dies gut eine Generation bevor im Jahr 1887 mit der Verleihung der Stadtrechte an Lambrecht die offiziell bis dahin noch gültige Bezeichnung ‚St. Lambrecht-Grevenhausen’ von Amts wegen aufgehoben wurde.
Diese Inakzeptanz des neuen Namens, wie sie offensichtlich von Anfang an bestanden hat, wirft Fragen nach dem Warum, Inwiefern auf.
Die erste, vordringliche Frage, die wir uns in dem Zusammenhang stellen müssen, ist die, weshalb bereits im Mai 1838 der Gemeinderat der Mairie Lambrecht in seiner Antragstellung statt von ‚St. Lambrecht’ nur noch von ‚Lambrecht’ spricht. War das einer Vergesslichkeit in Reminiszenz an die von den Franzosen vorübergehend in dem Ort ausgeübte Herrschaft zu verdanken, wie es die Notiz eines Sachbearbeiters des bayerischen Innenministeriums vermuten lässt, dem die Bearbeitung der Akte oblag? Die Antwort lautet klar: nein.
Die Frage ist nur: Wie war es gekommen, was war der Auslösefaktor dafür, dass Lambrecht, das bis 1789, dem Beginn der Französischen Revolution und damit dem Stichjahr für die Einleitung eines neuen Zeitalters, in der gesamten schriftlichen Überlieferung[45] mit ‚St. Lambrecht’ zitiert wird, in wenigen Jahrzehnten danach seines vollen Namens verlustig ging?
In einer eigens schon vor Jahren hierfür angesetzten Untersuchung verhalf mir ‚Fortuna’ (im wahrsten Sinne des Wortes) zu einer glücklichen Lösung, einer Erkenntnis, die meinem geliebten Lambrecht Licht verschaffte, es in neuem Lichte erstrahlen ließ, so dass ich daraus schlussfolgerte, nicht nur „ex oriente lux“[46], sondern auch ‚e Sancto Lamberto lux’.
Für diese schlagartig erfolgte Namensabänderung, die sich für Lambrecht von damals ungeahnter Dauerauswirkung bis zum heutigen Tage erweisen sollte, gibt es nur eine in der Logik der Sache nachvollziehbare Erklärung, wie ich sie bereits in meinem Artikel „Die ‚Odyssee’ der Namensgeschichte Lambrechts“ dargelegt habe. Auf dem Boden eines neuen Zeitgeistes, dem der Französischen Republik (ab 1792), die den Glauben an die Vernunft als tugendhafte Lebenseinstellung und als Folge davon die Entchristianisierung aller Bürger wahr machen wollte[47], wurde alles Sakrale, und sei es nur was vom Namen her daran zu erinnern vermochte, abgeschafft. Dieser Auffassung fiel auch der Name Lambrechts zum Opfer. Als der republikanische Kalender, der mit seiner Zeiteinteilung in Dekaden demonstrativ die christliche Zeitrechnung hätte ersetzen/verdrängen sollen, von Napoleon mit Beginn des Jahres 1806 wieder aufgehoben wurde, weil er nicht durchzusetzen war, wurde aber parallel hierzu der alte Name Lambrechts nicht wieder eingeführt.
Im Resümee hierzu ist zu konstatieren: Von diesem ‚Schlag’, nachweisbar ab dem Spätjahr 1798, hat sich Lambrecht nie wieder erholt. Weshalb nicht, das habe ich versucht zu ergründen in meinem Traktat „Frühe Industrialisierung ...“, ebenfalls veröffentlicht auf dieser Homepage. Irgendwie wollte und wollte das ‚Sankt’ nicht mehr zurück zur ‚restitutio in integrum’, zur Wiederherstellung des vollen Namens ‚St. Lambrecht’.
B) Die Bürgermeisterei Lambrecht im Spiegel der erheblich novellierten
Gemeindeordnung vom 01.07.1869
Das mittlerweile zur Vertrautheit gewordene ‚Nebeneinander’ zweier Gemeindeordnungen für ein und dasselbe Königreich erfuhr auch mit dem Jahr 1869 seine Fortsetzung. Der von der Größenordnung her vorrangig zu behandelnde rechtsrheinische Teil Bayerns erhielt mit Datum vom 29. April 1869 zuerst eine neue Gemeindeordnung, die das Recht auf Selbstverwaltung der Bürger in praktisch allen Lebensbereichen, einer Art ‚Allzuständigkeit’, wesentlich erweiterte. Wenige Monate später folgte mit Wirkung vom 1. Juli 1869 die für die Pfalz, das linksrheinische Gebiet Bayerns, ausgearbeitete Gemeindeverfassungsreform.
Zu Recht fragt man sich in dem Zusammenhang, weshalb man in Anbetracht der beiden Verfassungen gemeinsamen Wesenszüge wie auch Unterschiede[48] sich nicht auf e i n e Verfassungsordnung einigen konnte, um das Land auch rechtsformal zu einer nachnapoleonisch gefestigten Einheit werden zu lassen.
Offenbar hatte sich die links des Rheins geltende Verfassungsform der Mairie = Bürgermeisterei, in der es die Möglichkeit gab, je nach Bedarf mehrere benachbarte Gemeinden zusammenzufassen und unter die Obhut eines Bürgermeisters als ihrem ‚Exekutivorgan’ zu stellen , bewährt. Die Vorteile aus dieser Gemeindeverfasssungsstruktur lagen auf der Hand, hauptsächlich auf dem Sektor der Verwaltung, wo sich durch organisatorische Synergieeffekte Einsparungen an Zeitaufwand und Kosten erzielen ließen. Die ursprünglich von den Franzosen auf linksrheinischem Gebiet eingeführte Mairie-Verfassung war zum nachahmenswerten Vorbild in der rechtsrheinischen Gemeindeordnung Bayerns geworden, wie wir aus einer Anmerkung[49] zu Artikel 6 der bayerischen „Gemeindeordnung für die dießrheinischen Landestheile vom 29. April 1869“ ersehen können:
Diese [= Missstände] concentriren sich hauptsächlich in zwei Punkten und zwar in der
Wahrnehmung, daß in vielen kleineren Gemeinden keine tüchtigen Organe für die Leitung
der Verwaltungsgeschäfte und namentlich für die Handhabung der örtlichen Polizei zu
finden sind, und dann in der Thatsache, daß der Mechanismus der öffentlichen
Verwaltung durch die große Zahl der Gemeinden außerordentlich vervielfältigt und
erschwert wird. Insbesondere fällt der erstere Punkt ins Gewicht, nachdem die
polizeilichen Befugnisse der Gemeindebehörden eine umfassende Ausdehnung erhalten
haben und nachdem eine erhebliche Erweiterung der gemeindlichen Selbstverwaltung
eintreten soll. Aus diesen Erwägungen wurde auch für die Landestheile diesseits
des Rheins die Einführung des Instituts der Bürgermeistereien vorgeschlagen,
welches sich in der Pfalz und anderwärts erprobt hat und auch von verschiedenen
neueren Gesetzgebungen adoptirt wurde. Hiebei bleibt zunächst die Selbständigkeit
der vorhandenen Gemeinden völlig unberührt, ...
Im weiteren Verlauf dieser Anmerkung, die eine Empfehlung zur Übernahme dieser Einrichtung von Bürgermeistereien im rechtsrheinischen Bayern ausspricht, wird allerdings klar darauf abgehoben, dass auch dieses ‚Institut’ eine wesentliche Neuerung hin zu mehr Demokratie erfahren soll, wie folgendes Zitat[50] daraus belegen kann:
... so dürfte sich die Einführung jenes Institutes empfehlen. Dasselbe ist jedoch
keineswegs in demjenigen Umfange, wie es dermalen in der Pfalz besteht, herübergenommen,
sondern weiter entwickelt, indem die Bürgermeister nicht von der Regierung ernannt,
sondern von den Vertretern der betheiligten Gemeinden frei gewählt werden und indem
ferner auch kein fester Sitz der Bürgermeistereien bestimmt wurde, da sich sonst die
Wahl auf einen am Hauptorte wohnenden Bürger beschränken müßte.
Und in der Tat wurde diese Voranzeige, diese Ankündigung auch rechtsrheinisch umgesetzt.
Zuvor. d. h. dem vorgeschaltet, gilt es freilich zu beachten, dass mit der Gemeindeordnung von 1869 selbst die einzelnen, unter einer Bürgermeisterei vereinigten Gemeinden mehr Selbstbestimmungsrecht erfahren. So dürfen in unserem Fall auch die Bürger Lindenbergs ihren eigenen Gemeinderat wählen, der über ihre Geschicke und Belange zu befinden hat. Dies kommt klipp und klar zum Ausdruck in Art. 82 Asatz 2: „Die im Verbunde einer Bürgermeisterei befindlichen Gemeinden werden durch ihre eigenen Gemeinderäthe verwaltet.“[51] In Verbindung mit dieser Bestimmung ist Art. 83 Absatz 1 Teilsatz 1 zu sehen, nach welchem der Bürgermeister „durch den Gesammtgemeinderath aus seiner Mitte auf fünf Jahre gewählt“ wird. Dies eröffnet die Möglichkeit der Wahl eines Bürgermeisters, der nicht mehr dem Hauptort der Bürgermeisterei angehört und der auch dort nicht seinen Wohnsitz haben muss. Für die Wahl des Bürgermeisters war keine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Gemäß Art. 119 genügte „die absolute Stimmenmehrheit“ der „neugewählten Gemeinderäthe“.
In summa heißt das:
a) Das Selbstbestimmungsprinzip per Selbstverwaltung wurde praktisch vollständig den einzelnen Gemeinden einer mehrgliedrigen Bürgermeisterei übertragen / anvertraut, insofern diese einen eigenen Gemeinderat erhielten, der in Übereinstimmung mit Art. 51 Satz 1 der „gesetzliche Vertreter der Gemeinde“ war. b) Der Gemeindeverbund einer solchen Bürgermeisterei wurde durch das Band eines allen Gliedgemeinden gemeinsamen Bürgermeisters bewirkt, der das Ausführungsorgan des Willens seiner Gemeinden war und der die Führung der Amtsgeschäfte für alle seine Gemeinden innehatte.
Fazit: Mit dieser Gemeindeverfassung hat auch Lindenberg innerhalb der Bürgermeisterei Lambrecht größere Selbständigkeit gewonnen.
C) 1896, das Jahr, in welchem Lindenberg die Bürgermeisterei Lambrecht verlässt
Diesem historischen Ereignis, welches das Ende eines Gemeindeverbands markiert, einer Einrichtung, die sich fast ein ganzes Jahrhundert lang bewährt und sicherlich für beide Gemeinden – bis 1839 auch für Grevenhausen – segensreiche Auswirkung hatte (zumindest von Vorteil war), werden nur wenige, ja spärliche Zeilen im offiziellen Mitteilungsorgan des Kreisamtsblatts der pfälzischen Regierung mit Verwaltungssitz in Speyer gewidmet.
In der Übersichtsangabe zum „Inhalt“ des betreffenden Amtsblatts heißt es unter der Rubrik „Kurze Mitteilungen“ lapidar, aber treffend zusammengefasst: „Trennung der Gemeinde Lindenberg von der Bürgermeisterei Lambrecht“.[52]
Die eigentliche Mitteilung dieses – für Lindenberg unzweifelhaft eminent wichtigen – Vorgangs findet sich eingangs der linken Textspalte auf der Folgeseite des Amtsblatts abgedruckt. Mit einem einzigen Satz, einem Federstrich gleich, wird der Schlussstrich unter ein Kapitel gemeinsamen Werdens, gemeinsamer Politik-, ja Lebensgestaltung zweier nachbarlich miteinander verquickter Gemeinden gezogen.
Hier die Verlautbarung im Original:
Wie allein aus dem Wort „genehmigt“ der textlichen Festsetzung dieser Bekanntmachung zu schließen ist, erfolgte die „Lostrennung“ der Gemeinde Lindenberg aus der Bürgermeisterei Lambrecht auf Antrag der nach mehr Unabhängigkeit strebenden Gemeinde Lindenberg selbst, bei wohlwollender Zustimmung und Unterstützung der Gemeinde Lambrecht vermutlich. Offenbar waren die Voraussetzungen zur Erteilung einer solchen Genehmigung erfüllt. So könnte ich mir vorstellen, dass in Anbetracht der verkehrstechnisch günstigen Anbindung des Ortes an die Güterbeförderungsinfrastruktur des Tales, einer im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich angestiegenen Einwohnerzahl, einer ausreichenden Kapazität an öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen (und dergleichen mehr) unter der Einwohnerschaft Lindenbergs verstärkt der Wunsch bzw. das Bedürfnis nach mehr Unabhängigkeit aufkam. Dies war/ist verständlich und nachvollziehbar. Das Ausscheiden aus dem Gemeindeverband der Bürgermeisterei Lambrecht war für Lindenberg mit einem Schritt zu mehr Eigenverantwortung verbunden, größerer Selbständigkeit via politischer Selbstbestimmung. So weit, so gut.
Etwas befremdend wirkt auf mich, weil leicht zu missverstehen, eine aus meiner Sicht ‚unglücklich’ getroffene Formulierung, wie sie auf der hauseigenen Website der Gemeinde Lindenberg in der Menüeintragung Historisches unter der Stichzahl 1896 zum Vorschein kommt. Dort heißt es im ersten Satzteil „Lindenberg wird von Lambrecht getrennt, ...“, bevor es weiter heißt, was vollends richtig / zutreffend ist, „erhält seine Selbständigkeit und seine eigene Verwaltung.“[53] Allein dieser erste Satzteil vermag dem unbefangenen Betrachter/Leser zu suggerieren, Lindenberg sei als Ortsteil von Lambrecht abgetrennt worden. Dies war natürlich schlicht und ergreifend nicht der Fall, wie ich dies in all meinen Ausführungen zu diesem Thema im vorangehenden Teil dieser Arbeit klar dargelegt habe. Lindenberg war von Anfang an eine Gemeinde für sich, welcher der rechtliche Status eigener, selbständiger Körperschaft zukam. Das Band, das beide Gemeinden – bis zum Jahr 1839 auch noch Grevenhausen – miteinander ‚schicksalhaft’ verknüpfte und zu politisch gemeinsamer Willensbildung zum Nutzen und Vorteil ihrer selbst anregte, war das des gemeinsamen Bürgermeisters.
VII) Epilog
Ziel dieser Arbeit
Ursprünglich bestand meine Absicht allein darin, die Umstände zu ergründen, die dazu führten, dass nur ein Gemeinderat im Jahr 1838 den Antrag auf die Vereinigung der zwei Gemeinden Lambrecht
und Grevenhausen gestellt hat. Als ich dann freilich wider Erwarten erkennen musste, dass im Boot der von den Franzosen gebildeten und anschließend vom bayerischen Königreich so übernommenen ‚Mairie’ Lambrecht auch noch die Bürger Lindenbergs saßen, wurde mir schlagartig bewusst, ich würde noch weitere Fragen zu klären haben.
Die Entdeckung der Tatsache, dass es bereits ab dem Jahr 1800 einen Gemeindeverband gab, eine Art Vorläufer einer heutigen Verbandsgemeinde, versetzte mich in Staunen. Es erschien mir dies wie an ein Wunder grenzendes Phänomen vorweggenommener moderner Verwaltung, das es zu beschreiben, offen zu legen, in seinem historisch bedingten Entstehungskontext zu würdigen galt. Aus dem im ersten Anlauf/Akt meiner Untersuchung erbrachten Ergebnis, dass dieses Phänomen dreier unter einer Bürgermeisterei verknüpften Gemeinden mit dem Jahr der Antragstellung (1838) schon annähernd 40 Jahre existiert hatte, ergaben sich für mich zwangsläufig zwei weitere Fragen:
a) Wie lange eigentlich blieb Lindenberg mit der Mairie Lambrecht-Grevenhausen verbunden? Mit andern Worten, wann erfolgte eine Trennung der beiden Gemeinden? b) Wie sah die Kooperation der drei zu einer Mairie ‚verschraubten’ Gemeinden von Beginn an in der Praxis aus? Würde ich Beispiele hierzu finden?
Was die Klärung all dieser Fragen unheimlich erschwerte, war die äußerst komplizierte, weil von der bayerischen Regierung doppelgleisig gefahrene Politik einer Gemeindeverfassungsentwicklung, die sich bis zum Jahr 1927[54] in eine rechtsrheinische, Kernbayern betreffende, und eine linksrheinische, die Pfalz betreffende Phase spaltete.
Die Franzosen: ‚Befreier’ oder ‚Besatzer’?
Diese Frage ist mir unterschwellig immer wieder begegnet im Rahmen meiner thematisch eng begrenzten Untersuchung. Sie ist auch nicht zweifelsfrei eindeutig zu beantworten.[55]
Blickt man nüchtern und einigermaßen ‚sine ira et studio’ auf diesen Aspekt, gelangt man zu einer ambivalenten Wertung, die je nach Standortgebundenheit, welche man als Betrachter bezieht, einmal mehr das positive Element aus dem Erfahrungsumgang mit der von den Franzosen ausgeübten Herrschaft vor Ort sieht, ein andermal mehr die des Charakters der Fremdherrschaft, Tyrannei, Unterdrückung, Gewaltanwendung.
Die hehren Ziele der Franzosen, die Völker Europas vom Joch des Absolutismus, aus der ‚Versklavung’ christlicher Lehre zu befreien, um sie in ein rein von Vernunft geleitetes wie geprägtes Zeitalter tugendhaften Daseins zu führen, diese Ziele waren von vornherein nicht selbstlos. Hinter der Fassade uneigennütziger Opferbereitschaft, beflügelt von geradezu missionarischem Eifer, verbargen sich Bewegungsmotive diametral entgegengesetzter Natur. Motive, die in nationalem Denken, einem Machtanspruchsgefühl ihre Manifestation fanden.
Abgesehen von der Welle der Begeisterung für die modernzeitlichen Gedanken der Französischen Revolution, wie sie mit dem Ansturm der Franzosen sofort auf eine republikanisch frankophil gesonnene Minderheit von Deutschen überschwappte[56], registrierte man die ‚Befreier’ doch überwiegend als ‚Eroberer’, deren Anweisungen man sich in der Zivilgesellschaft zunächst fügte/beugte, um keinen unnötigen Repressalien ausgesetzt zu sein. Kritisch unter die Lupe genommen hatten diese ‚Befreiungskriege’ den Charakter einer Präventivmaßnahme, war doch von Seiten der Franzosen zu befürchten, dass die absolutistischen Fürsten Europas, die infolge der Französischen Revolution um ihre Throne bangen mussten, über kurz oder lang zum Gegenschlag ausholen würden. Dem wollten die Franzosen zuvorkommen, ganz im Einklang mit dem Motto „Der Angriff ist die beste Verteidigung“.
Aber noch ein zweites Ziel steckte ‚verkappt’ hinter diesen ‚Befreiungskriegen’. Ein uralter ‚Traum’, den es zu verwirklichen galt und der nicht erst seit Richelieu und Mazarin die Antriebskraft der Franzosen erhöhte. Das Ziel, nun greifbar nahe, lautete: « le Rhin » als natürliche Ostgrenze Frankreichs zu erreichen und als dauerhafte Grenze zu ‚Germania’ alias « Allemagne » einzurichten und völkerrechtlich per Vertragsschließung(en) anerkannt zu bekommen. Ursächlicher Auslöser dieser Idee oder besser ‚Wahnvorstellung’ einer utopischen Zukunftsvision war niemand anders als Gaius Iulius Caesar. Dieser hatte mit seinen zu Sensationen gesteigerten Rechtfertigungsberichten dem römischen Senat gegenüber in seinen „Commentarii de Bello Gallico“ eine stark vereinfachte und ,was die historischen Fakten anbelangt, unzutreffende Grenzdifferenzierung gezogen zwischen dem Siedlungsgebiet der Gallier respektive Kelten westlich des Rheins und dem der Germanen östlich des Rheins. Diese Grundvorstellung schwebte – und geistert möglicherweise immer noch – in den Köpfen der Bewohner des romanisierten Galliens. So wurden schon in den Jahren von 1792 bis 1797 aufkommende separatistische Tendenzen einzelner Städte und Regionen von Frankreich begünstigt, sofern diese Abspaltbewegungen vom Reich in Anlehnung an Frankreich erfolgten, um von dort auch schutzsuchend Hilfe erwarten zu können.
Okkupanten oder Befreier? Was unsere Gegend anbetrifft, die der Mittelpfalz und des Haardtrands, so vermag der Stadtschreiber von Wachenheim sie zu beantworten, wenn er in seiner Notiz zum Neujahrstag 1793/94 das bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Leid der Bevölkerung mit den Worten beschreibt: „alle und jede unserer Mitbürger aufs erbärmlichste misshandelt und geplündert“[57].
Fügt man diesem Ereignis äußerer Gewaltanwendung, das paradigmatisch für viele weitere steht, den der Bevölkerung mit dem Jahr 1798 aufgezwungenen Versuch einer Einführung des Französischen als ‚Amtssprache’ hinzu, so ist dies möglicherweise als eine noch schlimmere Traktierung der Bevölkerung zu bewerten. Eine solche Maßnahme verletzt die Seele des Menschen. Sie hinterlässt Spuren, Narben, die sichtbar bleiben, die aus dem Gedächtnis, dem Erinnerungsvermögen ganzer Generationen nicht so leicht verschwinden, um durch Neues, Positives im Umgang mit dem gleichen Nachbarn überlagert und gar ersetzt zu werden. Die Indoktrination französischen Denkens und Handelns mittels Zwangsverabreichung dieser Sprache hat den größeren Teil der Bevölkerung zu passivem und auch ostentativ aktivem Widerstand veranlasst, wie die Entfernung der von den Franzosen gepflanzten ‚Freiheitsbäume’ am Beispiel erzürnter Bürger Neustadts erkennen lässt[58]:
In Neustadt a. d. Haardt war der am 22. September [1798] errichtete Freiheitsbaum 3)
am 25. September nachts abgesägt worden. Der militärische Kommandant erzwang zwar
sofort die Errichtung eines neuen Baumes, der Protest der Bevölkerungsmehrheit blieb
aber bestehen, da nach dem Abschluß des Friedens von Campoformio [17.10.1797] sich
wohl das Gerücht, Frankreich werde das linke Rheinufer behalten, ausbreitete, die an
Zahl überwiegenden Gegner aber zähe an der Verheißung der Reichsintegrität
festhielten 4).
Im Resümee und auf den Punkt gebracht muss man konstatieren, dass uns die Franzosen bei allem Fortschritt, den sie uns brachten (z. B. Gewerbefreiheit, Zivilehe, Schulwesen unter staatl. Aufsicht), unserer Identität hinsichtlich unserer Sprache, dem uns eigenen Selbstverständnis sowie unserer über einen langen Zeitraum gewachsenen Mentalität beraubt hätten, hätten sie uns ihre Sprache oktroyieren können. Am Beispiel der Stadt Landau, die 1680 von Ludwig XIV. annektiert wurde und mit wenigen Unterbrechungen (während des Spanischen Erbfolgekriegs) praktisch durchgehend bis zur Besiegung Napoleons 1814 unter französischer Herrschaft stand, als eine Exklave Frankreichs mitten in der Vorderpfalz, dürfen wir erkennen, dass es selbst nach über einem Jahrhundert französischer Einflussnahme nicht gelungen war, die dortige Bevölkerung zu französisieren, zumindest nicht in Bezug auf die Übernahme des Französischen als ‚neuer’ Muttersprache.[59]
Etwas hat mich in meinen nun schon Jahre währenden Recherchen zum ‚Rätselthema’ der Mairie Lambrecht immer wieder stutzig gemacht: Wenn die Franzosen doch bereits ein halbes Jahr nach ihrer Kriegserklärung an Österreich (20.04.1792) bis zum Rhein vorgestoßen waren und dort im Oktober die Städte Speyer, Worms und Mainz besetzten, wenn also die (Fremd)herrschaft der Franzosen auf dem linksrheinischen Gebiet der heutigen Landschaften der Pfalz und Rheinhessens bereits mit dem Jahr 1792 ihren Anfang nimmt, wie ist es dann zu erklären, dass die Quellenlage, die mir für meine Untersuchung zur Verfügung steht, erst mit dem Jahr 1798 beginnt, dann allerdings sogar recht sprudelnd? Aus all den Jahren vor dieser Zeit, also dem Zeitraum von 1792 bis 1797, sind (so gut wie) keine Dokumente aus der französischen ‚Besatzungszeit’ zum Fallbeispiel Lambrechts erhalten. Zumindest habe ich im Landesarchiv in Speyer keine vorgefunden.
Auch hier lässt sich das ‚Rätsel’ relativ einfach lösen. Es ist dem wechselnden Kriegsglück im Ersten Koalitionskrieg (1792 – 1797) zuzuschreiben, dass Ortschaften wie Lambrecht nie ständig von Franzosen besetzt waren. Erst mit und nach dem Frieden von Campo Formio, der in der Nacht vom 17. zum 18 Oktober 1797 zwischen Frankreich und Österreich abgeschlossen wurde, hat sich eine Verwaltung der ‚Grande Nation’ auf linksrheinischem Gebiet richtig etablieren und nachhaltig entfalten können.[60] Diesem Umstand haben wir es wohl zu verdanken, dass die Fülle des Materials an handschriftlichen Dokumenten aus der Zeit der französischen Besetzung Lambrechts, sofern man von ‚Fülle’ sprechen kann, erst mit dem Jahr 1798 einsetzt.
Das Transkribieren handschriftlich in (alt)deutscher Schrift abgefasster Texte
in sofort lesbare, lateinische Druckschrift:
Schwierigkeiten an versteckten ‚Fallen’ ohne Ende
Das Lesen handschriftlich angefertigter Texte kann aus mehreren Gründen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Am ehesten lässt sich diese Aktivität mit einem Hindernislauf vergleichen, an dessen Endziel man nur ankommt. wenn es einem gelingt, unvorhergesehene Hürden ungeahnten Ausmaßes zu überwinden.
Selbst die Erschließung eines in gebundener lateinischer Kursivschrift verfassten Textes aus unseren Tagen kann sich als äußerst mühsam erweisen. Wer möchte schon ein ‚Gekritzel’ lesen, das Buchstabe für Buchstabe erst noch zu entziffern ist? Jedes handschriftliche ‚Zeugnis’ gibt – so die Graphologen – Auskunft, ja Aufschluss über den Charakter der Person, die es schrieb. So soll die Schrift einer Person deduktiv ein Porträt bestimmter Charakterzüge von ihr wiedergeben, je nachdem, welche Merkmale der Schreibstil der betreffenden Person in welchem Grade aufweist: nach links abfallende Schrift, verengte, verzerrte, verzogene, ins Überdimensionale geschwungene Einzelbuchstaben usw.
Wie viel schwieriger wird es erst, wenn man zur Komponente der charaktereigenen Handschrift einer bestimmten Person den Umstand addiert, dass ein zu interpretierender Text in altdeutscher Schrift protokolliert wurde, zu dessen Lesbarmachung erst noch ganze Experten herangezogen werden müssen, die auf diesem Feld der Paläographie bewandert sind. Wer von uns Laien traut es sich schon zu, solche Texte in lateinische Druckschrift zu übertragen? Geringfügige, rudimentäre Kenntnisse der Sütterlinschrift reichen hierzu nicht aus. Oft ist neben der Wort-für-Wort-Übertragung, einer Transkription, noch eine buchstabengetreue Transferversion erforderlich, die im Fachjargon als Transliteration bezeichnet wird.
Im Verlaufe dieser Untersuchung gab es zwei Dokumente, deren Transkription unerwartete Schwierigkeiten bereitete. Das eine ist die Abschrift des Sitzungsprotokolls des Lambrechter Gemeinderats aus dem Jahr 1805, im Original wiedergegeben auf den Seiten 17 und 18 dieser Arbeit, das andere die „Abschrift“ von Seite 7 der urkundlich erhaltenen Akte zum Vereinigungsvorgang der beiden Gemeinden (St.) Lambrecht und Grevenhausen zu einer Gemeinde aus den Jahren 1838/39/40[61].
Während im ersten Fall der Schwierigkeitsgrad zur ‚Dechiffrierung’ einzelner Wörter, wie sie zur ‚Rätselauflösung’ bestimmter Sachaussagen unumgänglich war, sich noch in Grenzen hielt[62], gab es im zweiten Dokument die Stelle einer Datumsangabe, die mich nach erster, fehlerhafter Umsetzung in lateinische Druckschrift mehr als verzweifeln ließ. Sie löste ein ‚Erdbeben’ an Erschütterung in mir aus, so benommen, so verwirrt, so fassungslos, so niedergeschmettert war ich.
In einer – für mich unverkennbar in ironischer Häme schnippisch beiläufig dahin geworfenen – Zusatzbemerkung einer Mitarbeiterin, die mir im Auftrag des Bayerischen Hauptstaatsarchivs auf eine Anfrage von mir antwortete, erhielt ich die Auskunft, es gäbe zur Vereinigungsakte der beiden Gemeinden Lambrecht und Grevenhausen, wie sie mir Ende 2008 per Fotokopie zugeschickt wurde, noch eine zweite, von der ich freilich bis dato keine Ahnung hatte. Indes konnte ich mir nicht vorstellen, dass der damals im Auftrag des Instituts mit mir korrespondierende Mitarbeiter mir eine Akte vorenthalten haben sollte, die für den Vereinigungsprozess der beiden Gemeinden von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dennoch, der Vollständigkeit halber, ließ ich mir eine Kopie dieser Akte zukommen. Und siehe da, es war fast wie ich es erwartet, wie ich es erahnt hatte. Diese zweite Akte mit der archivinternen Signatur „MInn 60010“ besteht nur aus drei Seiten. Diese sind vollkommen irrelevant was Procedere und Feststellungsergebnis im Genehmigungsverfahren dieses Vereinigungsvorgangs anbetrifft. Den drei Seiten dieser zweiten Akte fehlen die ersten sechs Seiten des Antrags aus dem Jahr 1838. Das Deckblatt als erste Seite bezieht sich lediglich auf die „Registratur“ des von Amts wegen genehmigten Namens der neu formierten Gemeinde. Seite zwei enthält eine „Abschrift“ von Seite 7 der Originalakte als Reinschrift, insofern sie von den persönlichen Anmerkungen des damaligen Sachbearbeiters bereinigt/gesäubert ist. Als dritte Seite taucht praktisch unverändert Seite 8 der Originalakte auf, aus welcher der meines Erachtens insignifikante Unterschied hervortritt, dass anstelle des Namens von Lambrecht der von „Gräfenhausen“ unterstrichen ist.
Wie/Woher hätte ich denn auch annehmen mögen, bei meinen gewissenhaft intensiv wie ebenso umfangreich ausgeführten Recherchen zum Namenswandel meiner Heimatgemeinde etwas derart ‚Fundamentales’ übersehen zu haben, und das noch aufgrund des Versehens eines Mitarbeiters, dem ich mich damals vor zirka acht Jahren so anvertraut hatte?
Hier nun in bildlich paralleler Gegenüberstellung der gleichlautende Entschließungstext des bayrischen Innenministeriums zum Zusammenschluss der beiden Ortschaften zu einer Gemeinde mit dem neuen Namen St. Lambrecht-Grevenhausen:
a) unter A das Originalschreiben aus dem urkundlichen Ersttext,
b) unter B die von dem nachträglich eingefügten
Verbesserungsvorschlag zur Namensgebung der neuen Gemeinde
befreite Endversion, wie sie dieser auf dem Dienstweg
mitzuteilen war.
A
(Quelle: BayHStA, MInn 60071, Auszug aus S. 7)
B
(Quelle: BayHStA, MInn 60010, Auszug aus S. 2)
An dieser Stelle, optisch in der Mitte, die Transkription
der rechten Variante, die gleichlautend, nur ein wenig
‚zeilenverschoben’ auch für die Version unter A zutrifft:
Auf den gutachtlichen Antrag v. 12. Oktober v. Js. wird hiemit nach vorausgegangenem Benehmen mit dem k. St. Ministerium der Finanzen genehmiget, daß die beiden Gemeinden St. Lambrecht u. Grevenhausen in eine Gemeinde, unter dem Namen Sanct-Lam- brecht Grevenhausen, vereiniget werden, und hiebei die von dem Gemeinderathe jener beiden Gemein- den am 27. May v. Js. beantragten Bedingungen zum Vollzuge gelangen.
Paradigmatisch für das Ausmaß des Schwierigkeitsgrads von Transkriptionen höchst entscheidender Stellen eines in altdeutscher Schrift hinterlegten Texts sei hier auf die Datumsangabe verwiesen, wie sie in der vorletzten Zeile der B-Variante ohne Weiteres zu erkennen ist. Auf den ersten Blick ist jeder Betrachter dieser Stelle, gleich, ob Fachmann oder Laie, der unwiderstehlichen Versuchung ausgesetzt, dieses Datum mit dem 27. März (vergangenen Jahres) wiederzugeben. Die zwei, wohl versehentlich etwas nach rechts verrutschen Striche über dem vermeintlichen Wort ‚Marz’ verleiten jeden Leser zu der Annahme, es handle sich hier um den Monat März, wie dies die gesamte Optik der Stelle ‚augenscheinlich’ nahelegt.
Welch Entsetzen traf mich, als ich selbst von einem Kenner der Materie, den ich mit der Transliteration dieser B-Textvariante beauftragt hatte, dieses Datum des 27. März (vorigen Jahres) schriftlich bestätigt erhielt! Unvermittelt saß ich vor einer neuen Herausforderung, einer Problematik, eines in sich widersprüchlichen Phänomens, für dessen Lösung mir keine Erklärung zur Verfügung stand: Während die Abschrift der gleichen Textpassage in der B-Variante das Datum der Antragstellung der beiden Gemeinden mit dem 27. März v. Js. wiedergibt, wird dieses Datum der Antragstellung auf Seite 4 des achtseitigen Komplettdokuments, der eigentlichen Urkunde dieses Vereinigungsvorgangs, klar und für jedermann deutlich lesbar mit dem 27. Mai 1838 angegeben.
Der Beleg hierfür war zugleich Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Er befindet sich zusammen mit einer wortidentischen Zeile-für-Zeile-Umsetzung des Textes in lateinische Druckschrift auf der Eingangsseite zu dieser Arbeit. Das Datum des 27. Mai 1838 ist der vorletzten Zeile des Belegs zu entnehmen.
Welche Angabe ist nun richtig? Es kann nur eine von beiden in Frage kommen, es sei denn, die dritte Möglichkeit einer vom Antragsteller übersehenen Alternative käme auch noch in Betracht, was rein rational gesehen völlig abwegig ist.
Erst als ich meinem ‚Schriftexperten’ diese Inkongruenz der beiden Daten, die sich doch auf ein und dasselbe Ereignis beziehen, voller Kummer mitteilte, unterzog sich dieser einer nochmaligen Inspektion der Datumsstelle in der B-Textvariante. Und siehe da, welch ein Wunder! Plötzlich stimmten beide Datumsangaben haargenau überein. Welch eine Überraschung! Welch ein Glücksfall! Welch eine Erleichterung!
Was war geschehen? Wo lag der Fehler? Welchem ‘tricky mickey device’ war selbst der Experte zum Opfer gefallen bei der Lesart dieses Datums?
Nie im Leben wäre ich anhand dessen, was ich aus der Sütterlinschrift kenne, auf das Merkmal gestoßen, welches das „y“ vom „z“ unterscheidet. Es sei üblich, so mein Experte im Nachhinein, das „y“ vom „z“ durch zwei über das „y“ gesetzte Striche vom „z“ zu unterscheiden. Woher hätte ich das wissen sollen/mögen? Eine Verwechslung von „May“ mit „März“ bzw. „Merz“ komme leider nicht selten vor.
Vielleicht versteht der unvoreingenommene Leser nun, mit Blick auf das soeben geschilderte Fallbeispiel, warum ich es bis dato peinlichst vermieden habe, zur Klärung der im Rahmen dieser Untersuchung gestellten und neu auftauchenden Fragen das Archiv meiner Heimatstadt Lambrecht aufzusuchen. Immer wieder erhielt ich aus dem Kreis meiner Bekannten den gut gemeinten Rat, doch die Akten dieses Archivs mal zu studieren, hätte ich es doch auf diese Weise viel einfacher, den Dingen auf die Spur zu kommen, um die noch offen stehenden ‚Rätselfragen’ zu lösen. Warum scheute ich nur den Besuch eines Archivs wie der Teufel das Weihwasser? Ich glaube, die Antwort darauf liegt wohl auf der Hand. Wenn ich bedenke, dass für den Zeitraum, den ich zu untersuchen hatte, der größere Teil des Quellenmaterials in Form von Dokumenten in Frage kommt, die in altdeutscher Schrift abgefasst sind, dann überkommt mich bereits im Voraus der pure Horror bei dem Gedanken, die mit ‚sieben Siegeln’ verschlossenen Schriften erst noch lesbar machen zu müssen. Nur in Begleitung eines ‚Schriftkundigen’ – gegen entsprechende Entlohnung – wäre mir eine Erfolg verheißende Materialsichtung aus den Beständen des Archivs möglich gewesen.
Brevier zum historischen Rahmenbedingungsfeld wie auch den Eckdaten zur
Entstehung und Entwicklung der Mairie Lambrecht
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1797 – 1814: die Pfalz fest unter französischer Herrschaft
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1800 (wohl noch Anfang des Jahres[63]): Bildung der Mairie Lambrecht als Gemeindeverband, dem unter einem Gemeinderat mit einem Bürgermeister an der Spitze die 3 Gemeinden Lambrecht, Grevenhausen und Lindenberg angehören
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1815: die Pfalz vorübergehend unter österreichischer Verwaltung/Herrschaft
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1816: Aufgrund einer in dem Jahr getroffenen Vertragsvereinbarung zwischen Österreich und Bayern fällt die Pfalz noch im gleichen Jahr an Bayern, wo sie bis auf eine Unterbrechung durch die französische Besatzungsmacht (Dez. 1918 – Juni 1930) bis 1935 verbleibt, als sie im Rahmen der NS-Neugliederung des Reiches mit dem Saargebiet zum Gau Pfalz-Saar vereint, der wiederum ein Jahr später in Saarpfalz umbenannt wird.[64]
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1818: 1. Gemeindeordnung Bayerns, die aber nur für den rechtsrheinischen Teil Bayerns in Kraft trat. Für den linksrheinischen Teil der Pfalz gab es keine eigene Gemeindeordnung. Hier bestand zunächst unverändert die ‚Gemeindeverfassung’ bzw. das Verwaltungssystem, wie es unter französischer Herrschaft errichtet worden war, bis zum Jahr 1837 fort.
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1837: Reform der Gemeindeordnung für die Pfalz: a) Die Zahl der Mitglieder des Gemeinderats wird proportional zur Einwohnerzahl seiner Bürgermeisterei erhöht. b) Der Gemeinderat wird alle 5 Jahre zur Hälfte neu gewählt.
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1838: Der Gemeinderat der Bürgermeisterei Lambrecht, die zu dem Zeitpunkt noch aus den 3 Gemeinden Lambrecht, Grevenhausen u. Lindenberg besteht, stellt den Antrag auf Vereinigung der beiden Gemeinden Lambrecht u. Grevenhausen zu einer Gemeinde.
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1839: Der Antrag vom Jahr zuvor wird bewilligt. Lambrecht u. Grevenhausen verschmelzen zu einer Gemeinde, die amtlicherseits den Namen „St. Lambrecht-Grevenhausen“ zugewiesen bekommt. In der Praxis setzt sich dieser Name nicht durch. Bereits wenige Jahre später ist selbst in den Amtsbüchern immer nur die Rede von „Lambrecht“ – für diesen Teil der Bürgermeisterei Lambrecht, die ab 1839 nur noch aus zwei Gemeinden besteht: Lambrecht u. Lindenberg.
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1869: Grundlegende Reform zu mehr Demokratie in den Gemeinden links wie rechts des des Rheins vermittels zweier separat voneinander existierender Gemeindeordnungen aus diesem Jahr Für eine Bürgermeisterei wie die Lambrechts galt nun: a) Alle Gliedgemeinden einer Verbands-Bürgermeisterei wählten und verfügten über einen eigenen Gemeinderat, um mit Hilfe dieser Einrichtung über ihre eigenen, gemeindebezogenen Geschicke und Belange zu bestimmen. b) Der eine Bürgermeister, der an der Spitze all seiner Gliedgemeinden stand, deren Amtsführung er wahrnahm, wurde nun nicht mehr von der übergeordneten Behörde in sein Amt berufen, vielmehr wurde er per einfacher Mehrheit der Mitglieder aller Gemeinderäte gewählt. Dies bedeutete für die Bürgermeisterei Lambrecht, auch ein Bürger aus Lindenberg mit Hauptwohnsitz dort konnte in dieses Amt gewählt werden.
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1896: Lindenberg scheidet auf eigenen Wunsch aus der Bürgermeisterei Lambrecht aus. Es wird nun zu einer Gemeinde mit einem eigenen Bürgermeister.
Über dieses letzte Datum hinaus hat es mich freilich interessiert, wie lange diese Form einer mehrere Gemeinden unter einem Bürgermeister vereinenden Bürgermeisterei noch existierte. Um dies herauszufinden, musste ich folgende zwei Gesetze auf diese Frage hin durchleuchten:
a) das „Bayerische Gesetz über die Selbstverwaltung“ vom 22. Mai 1919
b) die Gemeindeordnung vom 17. Oktober 1927
Das Selbstverwaltungsgesetz war ein aus der Notlage des militärischen Zusammenbruchs gegen Ende des Krieges und den daraus überall im Reich resultierenden Unruhen und Umstürze (von der Monarchie zur Räterepublik zum Freistaat Bayern) geborenes Gesetz, dem von vornherein nur Übergangscharakter zugedacht war. In Angleichung an das Reichsrecht wurde mit diesem Gesetz auch in Bayern das Frauenwahlrecht eingeführt, ganz in Erfüllung des Grundsatzes: „Reichsrecht bricht Landesrecht.“ (Heute: „Bundesrecht bricht Landesrecht.“). Im Übrigen hat es nur die nebeneinander weiterhin fungierenden beiden Gemeindeordnungen aus dem Jahr 1869 in wesentlichen Punkten einander angeglichen. Was die Bildung von Bürgermeistereien als Verband mehrerer Gemeinden anbetraf, so ist dies nach wie vor möglich, insofern z. B. Art. 6 der Gemeindeordnung für die Pfalz, der diese Fälle regelt, von diesem Gesetz unberührt bleibt. Neu ist allerdings mit Art. 26 die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit, dass sich sowohl Einzelgemeinden wie auch ganze Bürgermeistereien mit ministerieller Genehmigung „zur gemeinsamen Erfüllung einzelner Aufgaben“ zu „Zweckverbänden“ zusammenschließen können.[65]
Erst die Gemeindeordnung vom 17. Oktober 1927, nach Art. 165 in Kraft getreten am 1. April 1928, sollte Endgültigkeitscharakter annehmen, insofern sie den Wirrwarr parallel nebeneinander herlaufender Gemeindeverfassungsformen beseitigte.
Aufgehoben wurden mit einem Mal die beiden Gemeindeordnungen aus dem Jahr 1869, das pfälzische Städteverfassungsgesetz vom 15. August 1908 (wonach die Stadt Landau eine für die Pfalz unübliche Magistratsverfassung angenommen hatte), das Selbstverwaltungsgesetz vom 22. Mai 1919, wie auch die auf die Verhältnisse in der Pfalz abgestimmte Version dieses Gesetzes vom 20. Dezember 1922.[66]
Was nicht aus dem Verkehr gezogen wurde, da offensichtlich als Erfolgsmodell seit über einem Jahrhundert bewährt und inzwischen zur Tradition zählend, war die gute alte Einrichtung der Bürgermeistereien. Sie blieb in ihren Grundfesten mehr oder weniger unangetastet. Ihrer Erhaltung in Form und Substanz sind die Art. 56 bis 58 gewidmet.[67]
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Mit der aus nationalsozialistischer Zeit stammenden Deutschen Gemeindeordnung von 1935, die die Gemeindeordnungen der einzelnen Länder ersetzte, habe ich mich freilich nicht mehr befasst, hätte dies das Thema dieser Untersuchung doch bei Weitem gesprengt.
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Die Spurensuche der Mairie Lambrecht im Wandel der Zeiten gleicht einer abenteuerlichen Safari durch einen Dschungel verzwickt vertrackter Fallstricke, die es zu lösen, aufzuschlüsseln galt, um vorwärts zu kommen, um irgendwie ans Ziel zu gelangen. Die Geschichte dieser Mairie erweist sich als ein Stück Leben. Sie ist gelebtes Leben und als solches voller Geheimnisse. Wenn es mir gelungen ist, wenigstens einen Teil des Mystizismus, der dem Verlauf dieses Abschnitts der Geschichte Lambrechts anhaftet, zu entschleiern, aufzudecken, dann will ich zufrieden sein. Nur wenn wir erfahren, wo unsere Wurzeln sind , was uns genährt und geformt hat, erkennen, ja verstehen wir uns selbst, finden wir uns, sind wir doch selbst ein Leben lang auf der Suche nach unserer Identität. Gegenwärtiges lässt sich nur durch Wissen um Vergangenes begreifen, erfassen. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit ist daher unverzichtbar. Die Aufschlüsse, die wir daraus gewinnen, geben uns zugleich richtungweisend eine Orientierung für die Zukunft mit auf den Weg.
Lambrecht, 29. April 2016
VIII) Bibliografie[68]
Quellen u. Primärliteratur
1) Archivalien
A) Bayerisches Hauptstaatsarchiv: a) MInn 60071, S. 4 u. 7 b) Minn 60010, S. 2 B) Landesarchiv Speyer am Rhein: a) 1 Seite aus G 2 Nr. 346 (siehe S. 9) b) 1 Seite aus G 6 Nr. 521 (siehe S. 12) c) 2 Seiten aus G 6 Nr. 215.1 (siehe S. 17f.)
2) Verfassungstexte
A) Das französische Gemeindeverfassungsgesetz vom 17.02.1800 kann in seiner Originalfassung mit dem Titel « Loi du 28 pluviôse an VIII » als pdf-Datei bezogen werden unter: https://www.u-picardie.fr/curapp-revues/root/45/Annexe.pdf_4a0d2b2344d22/Annexe.pdf (19.05.16) B) Die Texte der bayerischen Gemeindeordnungen, so weit sie in dieser Arbeit verwendet wurden, finden sich alle in dem Büchlein von: Franz-Ludwig Knemeyer, Die bayerischen Gemeindeordnungen 1808-1945 – Textausgabe mit Einleitungen – erschienen in: Schriften zur öffentlichen Verwaltung, Bd. 41, hg. vom gleichen Autor, Köln 1994 Alternativ und zum Vergleich sind diese Texte im originalen Printlayout ihrer Erstveröffentlichung im Internet abrufbar. Als Einzelbeispiel sei hier folgender Link zum Gemeindeordnungsgesetz für die Pfalz aus dem Jahr 1869 angeführt: https://bavarica.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10345359_00519.html? contextType=scan&contextSort=sortKey%2Cdescending&contextRows=10&zoom =0.6500000000000001&context=1009 Zur Erschließung des bayerischen ‚Gesetzes über die Selbstverwaltung’ vom 22.05.1919 ist folgende Ausgabe sehr hilfreich, da mit allen amtlich ergangenen ‚Erläuterungen’ zu den einzelnen Artikeln versehen: Das Bayerische Gesetz über die Selbstverwaltung vom 22. Mai 1919 nebst Vollzugsanweisung, Erläuterungen und Anhang, enthaltend die gültigen Bestimmungen der rechtsrh. Gemeindeordnung, des Distriktrats- und des Landratsgesetzes und des Kreislastenausscheidungsgesetzes, den Abdruck einschlägiger Bekanntmachungen und Verordnungen und einen besonderen Abschnitt: Das Selbstverwaltungsgesetz in der Pfalz, hg.v. Max Roesch, Ministerialrat im Staatsministerium des Innern, München, Berlin, Leipzig 21920 C) Bedeutende, umfangreiche Sammlung verschiedenster Quellen zur Französischen Revolution, versehen mit Kommentaren des Herausgebers: Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780 – 1801, gesammelt und herausgegeben von Joseph Hansen, Vierter Band 1797 – 1801, mit den Registern zu Band III und IV, erschienen in der Reihe: Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Nr. XLII, Bonn 1938
3) Amtsblätter
- „Amtsblatt der Königl. Baierischen Regierung des Rheinkreises“, Nr. 37 Speyer,
26.11.1817, Nr. XXVI Speier [sic], 02.12.1818, Nr. XXVII Speier [sic], 10.12.1818
- „Intelligenz-Blatt des Rheinkreises“, Nr. 95 Speyer, 17.12.1819
- „Königlich Bayerisches Amts- und Intelligenzblatt für die Pfalz“, Nr. 4 Speyer,
14.01.1837, Nr. 5 Speyer, 18.01.1837, Nr. 70 Speyer, 06.12.1837, Nr. 11 Speyer,
08.02.1838, Nr. 42 Speyer, 24.08.1838, Nr. 34 Speyer, 09.07.1839
Sekundärliteratur / Darstellungen – nach Titeln geordnet
- Brockhaus, Die Enzyklopädie in 24 Bänden, zwanzigste, überarbeitete und aktualisierte
Auflage, Leipzig, Mannheim 2001
- Franzosen und Deutsche am Rhein 1789 – 1918 – 1945, hg. v. Peter Hüttenberger und
Hansgeorg Molitor, erschienen in: Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte
und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 23, hg. v. Hans-Joachim Behr et alii,
Essen 1989. Hieraus wurde verwendet der Beitrag von Franz Dumont, „Befreiung oder
Fremdherrschaft? Zur französischen Besatzungspolitik am Rhein im Zeitalter der
Revolution“, S. 91 – 112
- Geschichte und Geschehen, Ausgabe C für Rheinland-Pfalz und das Saarland, Bd. 3,
Geschichtliches Unterrichtswerk für die Sekundarstufe I, hg. v. Klaus Bergmann et alii,
Stuttgart 1997, 1. Auflage
- Putzger Historischer Weltatlas, hg. v. Ernst Bruckmüller und Peter Claus Hartmann,
Berlin 1032001
- Hansgeorg Molitor, Vom Untertan zum Administré, Studien zur französischen Herrschaft
und zum Verhalten der Bevölkerung im Rhein-Mosel-Raum von den Revolutionskriegen bis
zum Ende der napoleonischen Zeit, erschienen in der Reihe: Veröffentlichungen des
Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 99, Abteilung Universalgeschichte,
hg. v. Karl Otmar Freiherr von Aretin, Wiesbaden 1980
[1] Eine Mairie als unterste (kleinste) Verwaltungseinheit musste nicht unbedingt aus einem Verband mehrerer Gemeinden bestehen, sofern sie als Einzelgemeinde eine genügend große Bevölkerungszahl aufwies, für die es sich lohnte, eine eigene Verwaltung mit jeweils einem Bürgermeister, einem Beigeordneten (Adjunkten) und einem Munizipalrat (zu 10 Mitgliedern bei bis zu 2.500 Seelen der Gemeinde) einzurichten. Größere Mairien hatten selbstverständlich mehr Beigeordnete sowie Mitglieder im Rat – ganz gemäß Art. 12 u. 15 des Gesetzes vom 17.02.1800 [2] Im republikanischen Revolutionskalender führt dieses Gesetz die Bezeichnung „LOI concernant la division du territoire de la République et l’administration. Du 28 Pluviôse, an VIII de la République une et indivisible.“ [3] Vergleichbar etwa mit Verbandsgemeinden [4] Er unterstand direkt dem Justizminister und war natürlich an etwaige Dienstanweisungen des Direktoriums gebunden [5] Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780 – 1801, gesammelt und herausgegeben von Joseph Hansen, Vierter Band 1797 – 1801, mit den Registern zu Band III u. IV, Bonn 1938, S. 300 bzw. mit Vorspann ab S.299 – 3002; erschienen in der Reihe: Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Nr. XLII. [6] Hansgeorg Molitor, Vom Untertan zum Administré, Studien zur französischen Herrschaft und zum Verhalten der Bevölkerung im Rhein-Mosel-Raum von den Revolutionskriegen bis zum Ende der napoleonischen Zeit, Wiesbaden 1980, S. 56; erschienen in: Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 99, Abteilung Universalgeschichte, hg. v. Karl Otmar Freiherr von Aretin [7] Allem Augenschein nach noch anfangs des Jahres 1800. Siehe meine Ausführungen hierzu im Anmerkungsapparat auf S. 42. [8] Die in Artikel 15 angeführten Rechte umschließen auch die Pflicht zu ihrer Erfüllung. So soll der Rat über Folgendes befinden: a) die Aufteilung/Verteilung der Weiden, des Weidelandes sowie der Ernten/Ernteertäge, b) die notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen der verschiedensten Objekte vor Ort, c) Gebührenerhebungen (vgl. Konzessionsvergabe und –abgaben), d) die Aufnahme von Darlehen/Krediten sowie das Haushaltsrecht an sich. [9] Hier die Textfassung beider Bestimmungen im Original des Art. 15: « Ce conseil s’assemblera chaque année le 15 pluviôse, et pourra rester assemblé quinze jours. Il pourra être convoqué extraordinairement par ordre du préfet.» [wörtlich auf Deutsch: „Dieser Rat versammelt sich jedes Jahr am 4. Februar und kann 14 Tage versammelt bleiben (‚quinze jour’ ist die idiomatische Wendung für ‚14 Tage’). Er kann durch Verfügung des Präfekten zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen werden.“] [10] Zitat aus dem Original: « ...nombre de nominations qu’elles auront à faire à la prochaine session » [11] Geografisch wie topografisch ‚kreis-exzentrisch’ gelegen [12] Das im Original erhaltene Deckblatt trägt den themabezogenen Titel « Etat des conseillers municipaux de l’arrondissement de Spire, an XII ». Diesem eigentlichen Titel voran gehen die in Riesenlettern geschriebenen Angaben: « Département du Mont-Tonnerre, Arrondissement de Spire ». [13] Ob es sich um den Wohn- oder Geburtsort handelt, lässt sich nicht mit absoluter Klarheit feststellen, ist doch der Kopfteil zu dieser Spalte stark zerfledert und unlesbar geworden. [14] Art. 20 Satz 2: « Les membres des conseils municipaux seront nommés pour trois ans: ils pourront être continués.» [15] Für eine fehlerfreie Umsetzung der Angaben aus dem Original kann ich keine Gewähr übernehmen. Allein der Versuch einer fachgerechten, wortgetreuen Transkription der Vorlage in eine drucktechnisch lesbare Fassung schien mir unwiderstehlich. Ich bereue nicht die Mühe, die ich mir gemacht habe, um das Werk in die Tat umzusetzen. Das Ergebnis lässt sich sehen. Da fallen die paar Fehler, die sich sicherlich einge- schlichen haben, nicht ins Gewicht. [16] Beweisparadigmatisch sei hier der Musterfall des Elsass genannt. Das Elsass war von frühester Zeit an in weiten Teilen Siedlungsgebiet der Alemannen, von den Römern ‚Suebi’ genannt = Schwaben. Dieses deutsch-dialektische Element durfte/darf als Affinitätsband der dortigen Bewohner zu ihren Nachbarn in Deutschland und zum deutschsprachigen Teil der Schweiz angesehen werden. Im Jahre 1681 wurde Straßburg, ab 1682 Hauptstadt des Elsass, von Ludwig XIV. ohne einen Rechtsvorwand, aber „im Zuge der Reunionen ... von frz. Truppen besetzt (1697 Bestätigung durch den Frieden von Rijswijk)“. [Zitat aus dem Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Studienausgabe. Bd. 21, Stichwort ‚Straßburg’, S. 225, Leipzig 202001] Erst mit dem von Deutschland gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 wurde das gesamte Elsass mit Teilen Lothringens (inklusive der Hauptstadt Metz) vom neuen Deutschen Kaiserreich zurückgefordert. Wie erstaunt waren wir, als wir feststellen mussten, dass die Elsässer (und auch die Lothringer) einer Rückgliederung ins Reich ablehnend gegenüber standen, trotz ihrer deutschen Sprachzugehörigkeit, wie wir glaubten. Was wir nicht bedacht oder kaum berücksichtigt hatten, war die Tatsache, dass sich die Elsässer in den beiden dazwischenliegenden Jahrhunderten in ihrer Lebensart völlig französisiert hatten. Heute sollen – so Umfragen – weniger als 50 % der Bewohner des Elsass elsässerdeutsch sprechen. [17] Man ziehe in dem Zusammenhang nur mal einen Vergleich zum Reichsdeputationshaupt- schluss von 1803, um sich zum Thema ‚Säkularisation’ ein für deutsche Lande umfassendes Bild zu verschaffen.
[18] = 10.02.1805 nach dem gregorianischen Kalender
[19] = 17.02.1800
[20] = 15.01.1804
[21] = 22.01. und 06.02.1805
[22] = 02.08.1804
[23] Vgl. meine Ausführung hierzu unter D)a)
[24] Die Erhebung von Schulgeld ist im Grunde nichts Verwunderliches, Absonderliches oder längst der Vergangenheit angehörendes Phänomen. So entsinne ich mich noch genau, dass meine Eltern noch in den fünfziger Jahren für die ersten beiden oder drei Jahre für meinen Besuch eines staatlichen Gymnasiums einen monatlichen Beitrag von 20 DM zu leisten hatten. Das war nicht gerade ein Obolus, sondern – gemessen am Einkommen meiner Eltern damals – eine finanzielle Sonderausgabe, ein Belastung, die sie spürten. Freilich wäre es ihnen nie in den Sinn gekommen, dieses Opfer für meinen beruflichen Lebensweg nicht zu erbringen. Ich denke, diese Grundeinstellung besaßen auch damals, 1805, viele Eltern. [25] Durch den Erbfall Bayerns an die Kurpfalz (und nicht umgekehrt, notabene!) – die bayer. Linie der Wittelsbacher war 1777 erloschen – wurde schon vor Napoleon die Pfalz dem Gebiet Altbayerns einverleibt, und nicht erst infolge der Neuregelung Europas durch den Wiener Kongress. Die irrtümliche Ansicht, die Pfalz sei erst auf dem Wiener Kongress Bayern zugesprochen, damit erst nach 1815 Teil Bayerns geworden, ist weit verbreitet. [26] Vgl. die Metapher: Bajuwaren, Pfälzer, Franken und (ein Teil der) Schwaben unter einem Hut.
[27] auch die menschliche
[28] Welch symbolträchtige Bedeutung mit der Wahl dieses Monats zum Ausdruck kommen sollte! [29] veröffentlicht im „Gesetzblatt für das Königreich Baiern“, V. Stück, München, 20.05.1818, Sp. 49 - 96 [30] Bayern wird durch diese Verfassung zu einer konstitutionellen Monarchie mit einem Zweikammersystem.
[31] Vgl. meine Ausführungen hierzu auf S.4ff.
[32] abgedruckt im „Intelligenz-Blatt des Rheinkreises“, Nr. 95 Speyer, 17.12.1819, S.657f.
[33] Zitat zum Beleg: „Da die Gemeinde-Ausschüsse, welchen diese Wahl übertragen ist, in dem Rheinkreise nicht existiren [sic], und überhaupt, weder die Allerhöchste Verordnung vom 17. Mai über die Gemeindeverfassung, noch die Gemeinde-Wahlordnung vom 5. August l. J. in dem Rheinkreise publicirt [sic] sind, die Wahl der Gemeindebevollmächtigen aber unverzüglich vorgenommen werden soll ... .“ [34] abgedruckt im „Amts- und Intelligenzblatt des Königlich Bayerischen Rhein-Kreises“, Nr.70, Speyer, 06.12.1837, S.581, rechte Spalte oben [35] Die Verehrung der Vorfahren, an denen sich die Römer aufrichteten, zu denen sie emporsahen, ist ein Phänomen von herausragender Größe, das gerade in unserer Zeit eine Wiederbelebung, eine ‚Auferstehung’ feiern sollte. Aus ihr ging eine starke, selbstlose Opferbereitschaft vieler zur Erhaltung der Staatsgemeinschaft hervor. So war es auch die „mos maiorum“, die Sitte der Väter, die den Römern als Wegweiser diente, ihnen Vermächtnis einer Familientradition war, die es zu schätzen und zu bewahren galt, weil aus ihr ein Quell des Lebens entsprang, eine Orientierungshilfe für ihr Leben. [36] Man vergleiche hierzu nur die Abbildung auf S.12 [37] Vgl. meine Ausführungen hierzu unter Punkt d) auf S. 25 [38] Oberstes Kennzeichen dieser Verfassung – wie aller übrigen ländständischen Verfassungen, wie sie sich aus Artikel 13 der Deutschen Bundesakte vom 08.06.1815 ergeben, freilich ohne nähere Beschreibung des Wann und Wie – liegt meiner Einschätzung nach in der Tatsache begründet, dass das Budgetrecht nicht mehr ausschließlich in den Händen des Monarchen lag. Im Gegenteil, im Falle Bayerns mit seinen zwei Kammern mussten zur Verabschiedung eines Gesetzes – die wichtigsten waren schon immer die Finanzgesetze zur Steuererhebung – alle drei Verfassungsorgane ihre Zustimmung erteilen: der König und die beiden Kammern. Über dieses Etatrecht (also auch die Aufteilung / Verwendung der Steuern) war der König auf den Willen des Volkes via Ständevertretung angewiesen und praktisch in Höhe und Zweck der Verwendung des Gesamteinkommens des Staates ‚an die Kandare genommen’. [39] a) der Vollzugsverordnung vom 04.01.1838, welche unter anderem die „Integral-Erneuerung der Gemeinderäthe“ (= alle Mitglieder der Gemeinderäte werden neu bestimmt, hier durch Wahlen) auf die Monate April und Mai des Jahres 1838 festlegt. b) der Vollzugsverordnung vom 04.02.1838, die neben anderen Anweisungen die Modalitäten zur Wahl der Gemeinderatsmitglieder gemäß „Instruction“ vom 25.11.1818 vorschreibt. Beide Vollzugsverordnungen sind abgedruckt in: „Königlich Bayerisches Amts- und Intelligenzblatt für die Pfalz“, Nr.11 vom 08.02.1838, Speyer, S. 78f. [40] abgedruckt im „Amts- und Intelligenzblatt des Königlich Bayerischen Rhein-Kreises“, Nr.70 vom 06.12.1837, S.581-583 [41] Hierzu war Art. 15 Absatz 2 des Gesetzes vom 28. Pluviôse VIII (= 04.08.1802) aufzuheben bzw. komplett abzuändern, insofern die darin angegebenen Zahlen der Mitglieder eines jeden Gemeinderats dem neuen Proporzschlüssel, der das Verhältnis von Einwohnerzahl einer Gemeinde zur Mitgliederzahl des Gemeinderats festlegte, anzugleichen waren. [42] In den Jahren, bevor dieses Gesetz in Kraft trat, wurden die Bürgermeister und Adjuncten vom Landkommissariat in ihr Amt berufen. Erst hernach wurden sie kraft ihrer Ämter Mitglieder des Gemeinderats, dessen Vorsitz, wie bis heute üblich, der Bürgermeister führte. Ab 1838 waren die Bürgermeister und Adjuncten aus der Liste des gewählten Gemeinderats zu ernennen. Für sie rückten, wie zu vermuten ist, Personen aus der Reihe der gewählten Ersatzmitglieder nach. Um diesen Umschwung herbeizuführen, war „Art. I des kaiserlichen Decrets vom 4. Juni 1806“ zu entfernen, wie ebenfalls aus der Einleitung zum neuen Gesetz hervorgeht. Anbei der genaue Wortlaut dieses Artikels, wie er bis in die Monate April/Mai 1838 seine Gültigkeit hatte, auch im schönen Rheinkreis, der aus historischen Gründen ab 1838 wieder in die gute alte Pfalz umbenannt wurde: « Le maire de chaque commune entre seul de droit au conseil municipal, et le préside, sans pour cela compter dans le nombre des membres dont le conseil doit être composé, d’après les dispositions de l’article 15 de la loi du 28 pluviôse an 8.» (= Der Bürgermeister einer jeden Gemeinde ist kraft seines Amtes Teil des Gemeinderats, dessen Vorsitz er führt, ungeachtet dessen, dass er nicht zur Anzahl der Ratsmitglieder zu rechnen ist, wie dies in Artikel 15 des Gesetzes vom 17.02.1800 geregelt ist.) Hier der Link zum Belegnachweis des Zitats. [43] Artikel 12 dieses Senatsbeschlusses lautet: « Les conseils municipaux se renouvellent tous les dix ans par moitié.» (Übersetzt : Die Gemeinderäte werden alle 10 Jahre um die Hälfte neu ergänzt.) [44] wie sie im Zuge der Verwaltungsreform von 1969 entstanden ist [45] In der Literatur wie in allen urkundlich erhaltenen Dokumenten [46] Sinngemäß übersetzt: „aus dem Osten [dem Land der aufgehenden Sonne] (das) Licht“, wobei der Assoziationswert von Licht gleich Erleuchtung, Erkenntnis usw. ist. Und mit dem Licht kommt die ‚illuminatio Dei’, die Erleuchtung, die Gott schenkt, insofern ‚Dei’ in seiner syntaktischen Funktion als ‚genetivus subiectivus’ aufzufassen ist – bzw. analog zum Griechischen als Genitiv ‚originis’ = der Herkunft. Diese ‚illuminatio Dei’ ist signifikanterweise Teil des Wahlspruchs/Leitmotifs im Logo der Universität Oxford, England. [47] Im Sinne einer Befreiung der Menschheit vom Christentum als einer Art ‚Sklaverei’ / Versklavung [48] Zwei Kernpunkte seien hier hervorgehoben, die es in der pfälzischen Gemeindeordnung von 1869 im Gegensatz zum rechtsrheinischen Pendant nicht gab: a) einen von den Bürgern zusätzlich zum Bürgermeister zu wählenden ‚Magistrat’, also eine regelrechte Verwaltungsbehörde, b) die Aufteilung der Gemeinden in Stadt- und Landgemeinden (vormals als Rural-Gemeinden bezeichnet). [49] Zitat aus: Die Social-Gesetze des Königreichs Bayern. Mit Erläuterungen aus den Motiven zu den Gesetzentwürfen, den Vorträgen der Referenten und den Sitzungs- Protokollen der besonderen Ausschüsse der beiden Kammern von H. E., IV. Die Gemeindeordnung für die dießrheinischen Landestheile vom 29. April 1869, Verlag von J. G. Wölfle (Krüll’sche Universitäts-Buchhandlung.), Druck von J. F. Rietsch, S.10 f.; im Internet zu finden unter Eingabe des Stichworts: Bavarica | Band | Gesetzblatt für das Königreich Bayern [50] Die Social-Gesetze ... a. a. O, S.11 [51] Dieses Zitat wie alle folgenden aus der Gemeindeordnung vom 01.07.1869 ist entnommen dem Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern. No 52. München, den 20. Mai 1869. Inhalt: Gesetz, die Gemeindeordnung für die Pfalz betreffend. (Beilage IV. zum Landtagsabschiede.), Sp. 1009 - 1088 So zu finden im Internet via Eingabe des Stichwortes: Bavarica | Band | Gesetzblatt für das Königreich Bayern [52] „Königlich Bayerisches Kreis-Amtsblatt der Pfalz“, Jahrgang 1896, Speyer, Nr. 8 vom 26. Juni, S.29
[53] https://www.lindenberg-pfalz.de/?Historisches (14.02.2016)
[54] trotz der Absicht, beide Typen an Gemeindeordnungen peu à peu einander anzugleichen
[55] Vgl. hierzu die Abhandlung von Franz Dumont, „Befreiung oder Fremdherrschaft? Zur französischen Besatzungspolitik am Rhein im Zeitalter der Revolution“ in: Franzosen und Deutsche am Rhein 1789 – 1918 – 1945, hg. v. Peter Hüttenberger u. Hansgeorg Molitor, erschienen in der Reihe Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 23, hg. v. Hans-Joachim Behr u. a., Essen 1989, S. 91-112 [56] Z.B. in Mainz, wo es zur Gründung des revolutionären Klubs der „Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit“ kam, der das Ziel einer selbständigen Republik nach französischem Muster verfolgte. Von damals etwa 32.000 Einwohnern der Stadt sollen diesem Klub etwa 450 Mitglieder angehört haben. [57] Zitat aus dem Schulbuch für die Sekundarstufe I, Geschichte und Geschehen, Ausgabe C für Rheinland-Pfalz und das Saarland, Bd. 3, hg. v. Klaus Bergmann et alii, Stuttgart 1997, 1. Auflage, S. 76. Entgegen der Belehrung, die ich als Studienanfänger im Fach Geschichte an der Universität Heidelberg 1966 von einem Hilfswissenschaftler entgegennehmen musste und die in dem gut gemeinten, väterlich herablassenden Hinweis bestand, Schulbücher seien wissenschaftlich nicht „zitierfähig“, selbst wenn so hervorragende, anerkannte Professoren wie (Ernst Emil) Herzfeld daran mitgearbeitet haben, erlaube ich mir – aller ‚Gefahren’ ungeachtet – aus einem ‚Schulbuch’ zu zitieren. Eine solche Pauschalisierung wissenschaftlicher Unzulänglichkeit von Schulbüchern stellt für mich eine Diskriminierung dar, die ich für ungerechtfertigt halte und von mir weise. Akademischer Verlässlichkeits- via Nachweisbarkeitsanspruch ist selbstverständlich unverzichtbares Gütesiegel jeder wissenschaftlich verwendbaren Schrift. Die an Hybris grenzende Arroganz eines an einer Hochschule tätigen Hilfswissenschaftlers, der lediglich der Adlatus seines Professors ist, für den er arbeitet, ist kein Kriterium objektiver Neutralität. Diese Attitüde / Geisteshaltung akademischen Snobismus’ hat mit Wissenschaftlichkeit nichts gemein. [58] Zitat aus: Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780 – 1801, Vierter Band 1797 – 1801, a. a. O. (in Anm. 5), S. 303 [59] Vgl. auch meine Ausführungen zu dieser Kernfrage auf S. 15 mit der dazugehörigen Anm. 15 [60] Spiegelbildlich für das in den Jahren hin und her wogende Kriegsglück, vor allem das Leid, das der Zivilbevölkerung zugefügt wurde, steht eine Textpassage auf der Wikipedia-Site zu Deidesheim. Sie findet sich im Geschichtsteil des Artikels unter dem Stichwort „Erster Koalitionskrieg“ und darf prototypisch, quasi stellvertretend als ‚pars pro toto’, per Analogieschluss auch auf die Schicksalsschläge Lambrechts in damaliger Zeit übertragen werden. Besser – in sachlicher wie explikativ deskriptiv stilistischer Hinsicht – hätte ich die ‚Zustände’ vor Ort, wie sie sich aus den Kriegsläuften jener Jahre ergeben, nicht zu schildern vermocht. Mein Dank daher an den/die Autor/en der Website. [61] Zwar war der Antrag vom 27. Mai 1838 auf Vereinigung der beiden Gemeinden mit der Entschließung des bayrischen Innenministeriums vom 16. Juni 1839 genehmigt, doch gab es nachträglich noch mit Datum vom 14. März 1840 eine zweite Stellungnahme des Innenministeriums, in welcher die Regelung der „Baugränzen“ der Gemeinden Lambrecht und „Gräfenhausen“ der „Regierungs-Finanzkammer“ „der kgl. Regierung der Pfalz“ anheim gestellt wurde. [62] Insgesamt habe ich dieses Sitzungsprotokoll nacheinander drei verschiedenen ‚Experten’ zur Transkription vorgelegt, bevor ich mir nach Abgleichung der drei mir zugesandten Übertragungsversionen und weiterer Fehlerbeseitigung in eigener Regie der Richtigkeit des Endprodukts in vorliegender Fassung sicher war. [63] Als terminus post quem, als Datum, nach welchem die Mairie Lambrecht aus der Taufe gehoben wurde, muss der 12. Januar 1800 angesehen werden. So ist uns ein Schreiben vom ‚22 nivôse 8’ (= 12.01.1800) erhalten, in welchem Andreas Mattil als « L’agent municipal de Lambrecht » in gekonntem Französisch sein Rücktrittsgesuch vom Amt des Bürgermeisters einreicht, um sich mehr seiner Familie widmen zu können, nachdem er nun schon anderthalb Jahre (« 18 mois ») diese Funktion ausgeübt habe. Hätte die Mairie Lambrecht zum Zeitpunkt des 12.01.1800 bereits existiert, hätte Herr Mattil nicht als « agent municipal », sondern als « maire », dem französischen Wort für „Bürgermeister“ (u. ‚Standesbeamten’, vgl. ‚marier’ = Heiraten), unterschrieben. (Fundort der zweiseitigen Archivalie: Landesarchiv Speyer, G 6 Nr. 546) Zum Zweiten vgl. das Datum der Ersternennungen für die Mitglieder der Gemeinderäte der 4 Mairien, das in der Tabelle auf S. 14 mit dem Jahr 8 des republikanischen Kalenders angegeben wird. [64] Was das Datum von 1935 in der chronologischen Wiedergabe der territorialen Reichsumbildung zu Gauen anbetrifft, so berufe ich mich für den Fall der Rhein-Pfalz (= der Pfalz) auf die Darstellung der Website des „Portal Rheinische Geschichte“ unter dem Menüeintrag „Gau Westmark“. Hier der Link dazu: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/orte/ab1815/Nationalsozialistische%20Gaue/ Seiten/Westmark.aspx (15.03.2016) In Abweichung hiervon zwei andere Darlegungen: a) Dem 24bändigen Brockhaus (in der Studienausgabe von 2001 unter dem Stichwort „Pfalz“) zufolge verblieb die „Rhein-P.“ bis zum Jahre 1940 bei Bayern, um „dann mit dem Saargebiet zum Gau ‚Saar-P.’ zusammengeschlossen“ zu werden. b) Nach einer Darstellung im Artikel „Rheinkreis“ der Wikipedia blieb die Pfalz „bis zur Gründung des Landes Rheinland-Pfalz am 30. August 1946 bayerisch“. Zu dieser letzteren Version habe ich so meine Zweifel. Dass aufgrund des Versailler Vertrags zur Gründung des für den Kohleabbau durch Frankreich bestimmten Saargebiets westliche Teile (wie z. B. St. Ingbert, Homburg) von der Pfalz abgetrennt wurden, um mit Gebieten aus der preußischen Rheinprovinz zusammengelegt zu werden, ist auch meiner Wenigkeit bekannt, nicht aber, dass der Gau ‚Saarpfalz’ deckungsgleich mit dem 1920 der Pfalz weggeschnittenen Gebiet sei, entsprechend „ungefähr dem heutigen Saarpfalz-Kreis“, wie dieser Teil des Artikels dem Leser vermitteln möchte. Sieht man sich nur einmal im Putzger Historischer Weltatlas (Berlin, 1032001, S. 168) die Karte „Das Deutsche Reich von 1933 bis 1938“ an, so sticht sofort ins Auge, dass der mit „Saarpfalz“ bezeichnete Gau just das Gebiet der heutigen Pfalz abdeckt. Ergänzender Hinweis meinerseits: Ein Zusammenschluss von ‚Saar’ u. ‚Pfalz’ war natürlich erst möglich geworden, nachdem sich die Bevölkerung des Saaargebiets in der Abstimmung am 13. Jan. 1935 (zu 91 %) für die Wiedereingliederung ihres seit 15 Jahren vom Völkerbund verwalteten Gebiets in das Deutsche Reich entschieden hatte. [65] Beide Zitate aus Art. 26 entnommen aus: Das Bayerische Gesetz über die Selbstverwaltung vom 22. Mai 1919 nebst Vollzugsanweisung, Erläuterungen und Anhang enthaltend die gültigen Bestimmungen der rechtsrh. Gemeindeordnung, des Distriktsrats- und des Landratsgesetzes und des Kreislastenausscheidungs- gesetzes, den Abdruck einschlägiger Bekanntmachungen und Verordnungen und einen besonderen Abschnitt: Das Selbstverwaltungsgesetz in der Pfalz, hg. v. Max Roesch, Ministerialrat im Staatsministerium des Innern. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage, München, Berlin, Leipzig, 1920, S. 82 [66] So Art. 164 dieses Gesetzes, zu finden auf S. 241f. in: Franz-Ludwig Knemeyer (Hrsg.), Die bayerischen Gemeindeordnungen 1808 – 1945, Textausgabe mit Einleitungen, erschienen in der Reihe: Schriften zur öffentlichen Verwaltung, hg. v. Franz-Ludwig Knemeyer, Bd. 41, Köln 1994 [67] Siehe S. 206f. bei Franz-Ludwig Knemeyer, Die bayerischen Gemeindeordnungen ... a. a. O. [68] Die Seitenangaben beziehen sich auf die pdf-Version des Beitrags.