Die 'Odyssee' der Namensgeschichte Lambrechts - Teil II

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Die ‚Odyssee’ der Namensgeschichte Lambrechts, Teil II

Die ‚Odyssee’ der Namensgeschichte Lambrechts, Teil II

 

Anknüpfend an meinen ersten Beitrag zum Namenswandel Lambrechts in der Ausgabe vom 04.12.08, möchte ich das Kernstück aus dem achtseitigen Beurkundungsdokument des Zusammenschlusses der beiden Gemeinden (St.) Lambrecht und Grevenhausen unter die Lupe nehmen, um diese eine Seite, Seite 7, auf ihren genauen Aussagegehalt bestmöglich zu untersuchen (siehe Abb. Nr. 1).

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Abb. Nr. 1: Originalauszug zur ‚Vereinigung der beiden Gemeinden
(St.) Lambrecht u. Grevenhausen’ durch Beschluss der
Bayer. Staatsregierung vom 16. Juni 1839 – Bay HStA, MInn 60071, S.7

 

Abbildung 1: → Inhaltsangabe der wichtigsten Details in Umschrift

M. d. Innern u. 7941                                                         München, den 16ten Juni, 1839

An
die K. Regierung der Pfalz K.d.J. [= Kammer des Innern]

 

Die Vereinigung der
Gemeinden St. Lambrecht und
Grevenhausen b. [= betreffend]

 

Auf den gutachtlichen Antrag vom 12. Oktober v. Js. wird hiermit, nach vorausgegangenem Benehmen mit dem 1. Staatsministerium der Finanzen, genehmiget,
dass die beiden Gemeinden St. Lambrecht und Grevenhausen in eine Gemeinde
„Sanct = unter dem Namen Ö=Lambrecht-Grevenhausen vereiniget werden
und hiebei die von dem Gemeinderat jener beiden Gemeinden am 27. Mai v. Js.
beantragten Bedingungen zum Vollzuge gelangen. ---
Die Berichtsbeilagen folgen hieneben zurück I.w.e. Mitteilung dem
K. Staatsministerium der Finanzen …Mitteilung  em K. Kriegsministerium …..
Vorzumerken im statistischen Büro ….

 

G.K.

Der Ort hieß „Sanct“ Lambrecht,
S. Widders geogr. Beschreibung der Pfalz II, S. 259
und es ist nur eine, zum Teil aus der franz.
Zeit herrührende Gleichgültigkeit gegen die
historische Benennung, resp. einer Nachlässigkeit
zuzuschreiben, wenn bloß „Lambrecht“ gesagt
wird.

Anmerkung: Das „St.“ wurde in allen Fällen nachträglich in das Schriftstück eingefügt.                

 

Beim ersten Anblick des handschriftlichen ‚Gekritzels’ dieser Seite ist man versucht zu glauben, es handele sich nur um ein Konzept, einen Entwurf mehr vorläufigen Charakters, einen Vorschlag zur Namensgebung der aus beiden Ortschaften neu entstandenen Gemeinde, den das bayerische Innenministerium der Königlichen Regierung der Pfalz unterbreiten möchte. Bei näherer Betrachtung wird man freilich gewahr, dass dieser „Entwurf“ vom 16. Juni 1839 zugleich Entschließungscharakter hat, insofern er den Antrag der Königlichen Regierung der Pfalz vom 12. Oktober 1839 genehmigt. Dieser positive ‚Bescheid’ nimmt insofern zugleich Entwurfscharakter an, als er dem Antrag der Regierung in Speyer eine kleine, aber doch nicht unbedeutende Korrektur vorschlägt, allein um der Geschichte Lambrechts Rechnung zu tragen. So solle der Name der neu gebildeten Gemeinde nicht auf „Lambrecht-Grevenhausen“, sondern auf „St. Lambrecht-Grevenhausen“ lauten. Diesen, den neuen Ortsnamen berichtigenden Gegenvorschlag hat die Regierung in Speyer offenbar widerspruchslos, ohne erneutes Antwortschreiben akzeptiert, wie aus der amtlichen Eintragung im Bekanntmachungsorgan des ‚Amts- und Intelligenzblattes für die Pfalz’ mit Unterschriftsdatum vom 27. Juni 1839 hervorgeht (siehe Abb. Nr. 2). [Was den Titel dieses ‚Amtsblattes’ anbetrifft, so berufe ich mich auf Herrn Dr. Maier vom Landesarchiv in Speyer, der mir diesen Beleg mit Begleitschreiben vom 25.11.08 hat zukommen lassen, wofür ihm an dieser Stelle noch einmal gedankt sei.]

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Abb. Nr. 2:

Amtliche Bekanntmachung der Vereinigung der beiden Gemeinden St. Lambrecht
und Grevenhausen zur neuen Gemeinde „St. Lambrecht-Grevenhausen“
mit Datum vom 27. Juni 1839 im „Amts- und Intelligenzblatt für die Pfalz“,
S. 299 (Landesarchiv Speyer)

 

Wie kam es zu dieser Diskrepanz/Inkongruenz zwischen dem Antrag auf „Lambrecht-Grevenhausen“ einerseits und der amtlich offiziell abgeänderten Version von „St. Lambrecht-Grevenhausen andrerseits? Waren die Pfälzer, die beiden Antrag stellenden Gemeinden und in der Weiterleitung desselben die Regierung in Speyer, desinformiert oder war es nur wiederholte Unachtsamtkeit, reine Vergesslichkeit, aufgrund dessen das „St.“ als unabdingbarer Bestandteil im Namen Lambrechts bei der Formulierung des Antrags übersehen wurde? In der „Kantonal-Eintheilung des Rhein-Kreises“ [= der linksrheinischen Pfalz] vom 17. November 1817, die die bayerische Regierung zwei/drei Jahre nach dem Wiener Kongress wohl mehr oder weniger unverändert aus dem Einteilungsschema der Franzosen nach deren Vertreibung aus der Pfalz übernahm, ist - so Herr Dr. Maier vom Landesarchiv in Speyer - bereits nur der Name „Lambrecht“ vermerkt. Unter Berufung auf diese amtlich gesicherte Namensführung Lambrechts hatten die Antragsteller keinen Fehler begangen, sondern zu Recht auf „Lambrecht-Grevenhausen“ plädiert. Wie kommt der Schreiber dieser Entschließung vom 16.06.1839, der im Auftrag des bayerischen Innenministeriums handelte, nur dazu der neuen ‚Großgemeinde’ den Namen „St. Lambrecht-Grevenhausen“ anstelle von „Lambrecht-Grevenhausen“ zu verleihen? Dieser Frage müssen wir uns eigens noch einmal widmen, indem wir den Anmerkungsapparat in diesem ‚Papier’ näher ins Visier nehmen.

 

Wie man aus der Überschrift sowie dem eigentlichen Textkörper auf der oberen, rechten Seite unweigerlich auf den ersten Blick erkennen kann - dies fällt sicherlich auch dem ‚ungeübten’ Betrachter auf - so ist das „St.“ in dieser Namensurkundenausfertigung erst nachträglich eingefügt worden. In einer recht umfangreich gehaltenen, sofort ins Auge fallenden Anmerkung links unten neben dem Haupttextteil rechtfertigt sich der Schreiber für seine Berichtigung des von der pfälzischen Regierung eingereichten Antrags auf Anerkennung des neuen Ortsnamens „Lambrecht-Grevenhausen“. Zwei Gründe sind es, die er für die Abänderung in „St. Lambrecht-Grevenhausen“ ins Feld führt und die aus meiner Sicht einer ausführlichen Erläuterung bedürfen.

  • Zum Ersten beruft er sich auf das allseits wissenschaftlich anerkannte Werk von Johann Goswin Widder, das aus 4 Bänden besteht und noch vor Beginn der Französischen Revolution (1789) in den Jahren 1786/88 in Frankfurt a. M. und Leipzig herausgegeben wurde. Dieses in seiner Tiefen- und Breitendimension profund angelegte Opus einer Enzyklopädie über die Kurpfalz trägt den bescheiden klingenden Titel „Versuch einer vollständigen geographisch-historischen Beschreibung der kurfürstlichen Pfalz am Rheine“. Im zweiten Band dieses Werkes findet sich auf den Seiten 259 bis 263 unter dem Stichwort/Eintrag „St. Lambrecht“ ein Abriss der Geschichte Lambrechts von der Klostergründung im Jahre 977 bzw. 987 bis zu einer Bestandsaufnahme der Zahl der Familien (264), der Einwohner (1020), der Häuser (173), Mühlen (8) und dergleichen Angaben mehr des Ortes im Jahre 1785. Diese fünf Seiten stellen ein Kompendium der Chronik Lambrechts dar, das unangefochten, ja ich möchte sagen „unübertroffen“, bis in unsre Zeit die Quelle bildet, aus der sämtliche Festschriften und Monografien zu Lambrecht ihre ‚Weisheiten’ in wenig weiterführender, Einzelaspekten ergänzender Weise herleiten. Diese fünf Seiten sind das Postament aller modernzeitlichen Historiker/Heimatforscher unseres geliebten Ortes. Analog zu A. N. Whitehead (1861-1947), einem englischen Philosophen und Mathematiker, der die abendländische Philosophie „eine Reihe von Fußnoten [!!] zu Platon“ nannte, geht man, ohne überheblich zu werden, keineswegs fehl, wenn man konstatiert, alle zur Geschichte Lambrechts publizierten Werke sind im Grunde nur „Fußnoten/Anmerkungen/Randnotizen“ - wenn nicht gar bloß Paraphrasen - zu J. W. Widders Fundamentalpassagen über Lambrecht. Im Resümee ist festzuhalten: Zu Recht bezieht sich der Urkundenschreiber auf dieses Werk Widders, wenn er beim Zusammengehen der beiden Ortschaften (St.) Lambrecht und Grevenhausen für die Namensform „St. Lambrecht-Grevenhausen“ optiert.

 

  • Mit dem zweiten Argument, das der Schreiber dieser Urkunde zur Legitimation seiner ‚eigenmächtigen’ Amtshandlung ins Feld führt, beschleicht ihn eine Vorahnung, mit der er z. T. Recht hat, z. T. komplett verkehrt liegt. So konnte er nicht wissen, da ihm schlichtweg keine Unterlagen hierzu vorlagen, dass im Verlaufe des Jahres 1798 die Franzosen den Namen „St. Lambrecht“ höchst offiziell, also (besatzungs)rechtlich in „Lambrecht“ abgeändert hatten. Dass dies freilich aus purer „Gleichgültigkeit“ respektive „Nachlässigkeit“ geschehen sein soll, wie er in gleichem Atemzug seiner Anmerkung mutmaßt, ist in der Sache total daneben gegriffen und eher einer groben Fehleinschätzung des politisch kulturellen Willens sowie ökonomischen Leistungsvermögens der Franzosen zuzuschreiben. Statt sich vor der Trikolore zu verneigen, denn gerade Bayern hat sich durch Veranlassung Napoleons (vgl. den Reichsdeputationshauptschluss 1803, den Napoleon initiiert hat) vom Herzogtum zum territorial mächtig vergrößerten Königreich emporgeschwungen in der napoleonischen Zeit, diskreditiert er aus leicht arroganter Haltung heraus - vielleicht auch nur in Unkenntnis der historischen Gegebenheiten - die Franzosen. Der Sprühregen an Gedanken aus der Französischen Revolution (1789 - 1795/99), der mit den ‚Befreiungskriegen’ Europas vom Joch des Absolutismus zu uns kam, Kriegen, die freilich in ‚Eroberungskriege’ der Franzosen umschlugen, hat uns bis heute nachhaltig erfrischend befruchtet. Von „Nachlässigkeit“ oder auch nur partieller „Gleichgültigkeit“ kann in keiner Weise die Rede sein. Das würde der Leistung der Franzosen, mit deren Revolution das Zeitalter der ständelosen Gesellschaft, des staatstragenden Bürgertums, der Neuzeit anbricht, keineswegs gerecht werden. Die Frage, die sich uns vielmehr stellt, muss heißen: Was genau haben uns die ‚Befreiungskriege’, die knapp 20 Jahre französischer Herrschaft an fortschrittlichem Ideengut gebracht, das auch uns nach dem Abzug der Franzosen ‚revolutioniert’, d. h. von ‚Kopf bis Fuß’ verändert hinterlassen hat, versehen mit neuen, in die Zukunft weisenden Perspektiven, die uns das Leben bis heute haben meistern lassen, in Anbetracht der auf uns zugekommenen Herausforderungen des gleichzeitig entstandenen Industriezeitalters? Ohne ein präzises Steuererfassungssystem ist kein moderner Staat denkbar. Anzahl und Höhe der Steuern können aber nur dann einigermaßen gerecht erhoben werden, wenn der Besitz der Bürger an Liegenschaften und Einkommensquellen jeglicher Art genauestens registriert ist. Eine kartografische Übersicht über die Besitzverhältnisse der Bürger fehlte in deutschen Landen in der vorrevolutionären, vornapoleonischen Zeit. Statt dessen herrschte ein einziges Wirrwarr von Hunderten verschiedener Steuern und Steuerarten (fast wie heute!?), die keiner mehr recht erklären konnte und die zur großen Verärgerung der Bürger beitrugen. Das erste, was die Franzosen als neue Institution ins Leben riefen, war die Schaffung eines Katasteramtes - wie es heute noch in Neustadt/Weinstr. existiert - dessen Aufgabe es war, Größe und Besteuerungswert sämtlicher Immobilien (Grundstücke bebaut und unbebaut) innerhalb bestimmter Gemarkungsgrenzen in Flurkatastern kartografisch festzuhalten, das gesamte Land aller Ortschaften im Kanton Neustadt z. B. erforderlichenfalls auch neu zu vermessen usw., um auf der Grundlage solcher ‚Kataster’ eine alle Bürger heranziehende Besteuerung vornehmen zu können. Die von den Franzosen durchgeführte ‚Steuerreform’ war in der Tat ‚revolutionär’. Sie reduzierte Hunderte von Steuern auf im Wesentlichen zwei: a) den Grundbesitz, b) das Gewerbe, nachdem mit der Französischen Revolution jede Konkurrenz ausschaltende Zunftordnung abgeschafft, Gewerbefreiheit, freie Berufswahl, damit die Säulen des Wirtschaftsliberalismus eingeführt waren. Dieses Moment, diese Wende hin zur freien Marktwirtschaft hat in einer vor Kurzem im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Dokumentarsendung zur Geschichte des Hauses „4711“ ein bekannter Karikaturist aus Köln bezeichnend mit den Worten kommentiert - ich zitiere sinngemäß: ‚Es bedurfte der Franzosen, es bedurfte eines Napoleon, „um Köln den Arschtritt in die Moderne“ (so wortwörtlich) zu verpassen’, womit er unverblümt den Nagel auf den Kopf traf. (Auch in Köln wurden sämtliche Häuser nummeriert, das Geflecht der Straßen und Gässchen einer Übersicht zugeführt, um diesen latent ruhenden ‚Schatz’ dem steuertechnischen Zugriff zu öffnen.) Von vielen Kritikern wird den Franzosen freilich der Vorwurf gemacht, sie hätten diese Finanzreform im Sinne einer Steuervereinfachung nur aus national-egoistischem Grunde durchgeführt. So hätte Napoleons laufend anwachsende Kriegsmaschinerie einen schier unersättlichen Bedarf an ‚Soldaten und Geld’ (= „des hommes et d’argent“, wie Napoleon sich ausdrückte) gehabt, was nur durch solch eine ‚Radikalkur’ zu bewältigen war. Dieses Argument hinkt indes auf einem Bein. Die früh romanisierten ‚Westfranken’ waren schon immer eine zivilisationsausbreitende, ordnungsliebende Macht. So waren es die Französisch sprechenden Normannen, die aus der Normandie nach England übersetzten und 20 Jahre nach der für sie siegreichen Schlacht bei Hastings (1066) das in aller Welt berühmt gewordene „Doomsday Book“ (auch „Domesday“ genannt) anlegten, in welchem ‚Kataster’ sie die englischen Liegenschaften (nicht nur der ‚Kronländer’) zur besseren Besteuerung eintrugen, das keltisch germanisch gewachsene ‚Durcheinander’ (= Chaos) in einen ‚Kosmos’ (= Ordnung, in der Grundbedeutung des griechischen Wortes kósmoV ) verwandelten. Wie man angesichts dieser Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, mit der die Franzosen uns die Errungenschaften aus ihrer Revolution - letzten Endes zum Nutzen beider Völker - verabreichten, ihr Wirken auf linksrheinischem Gebiet mit den Untugenden der „Nachlässigkeit“ und gar „Gleichgültigkeit“ in Verbindung bringen kann, wie dies der Schreiber dieser Entschließung vom 16. Juni 1839 tut, bleibt mir unbegreiflich.

 

Was aber hat die franz. Besatzungsmacht wohl dazu bewogen, das „St.“ aus dem Namen „St. Lambrecht“ zu streichen? „Nachlässigkeit“, Unüberlegtheit können hier nicht am Werk gewesen sein. Es muss dies eine ganz dezidierte Maßnahme gewesen sein, um etwas ganz Bestimmtes demonstrativ zu unterstreichen, in Szene zu setzen, zu bewirken. Schon beim ersten Sichten der mir vom Landesarchiv in Speyer zugesandten, handschriftlichen Dokumente aus jener Zeit fiel es mir ‚wie Schuppen von den Augen’, was der Grund für die Eliminierung des „St.“ aus dem schönen Namen „St. Lambrecht“ war. Im Kopf der zwei Briefe, die ich hier zum Beleg meiner These veröffentlichen möchte, ist der Grund für die Annullierung des „St.“ augenfällig verankert (siehe Abb. Nr. 3 u. 4).

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Abb. Nr. 3: Der Brief des 'Agenten' Körper an die
Municipal-Verwaltung in Neustadt vom 08.10.1798
(Landesarchiv Speyer, Bstand G 6 Nr. 542)

 

Hier der Inhalt von Herrn Körpers Entlassungsgesuch in Druckschrift:

R. g. Nr. 847 eingegangen am 18. vend. 7
[das Jahr 7 des rückdatierend mit Datum vom 22.10.1792 neu eingeführten
Revolutionskalenders entspricht dem Jahr 1798 im christlichen Kalender]

 

St. Lambrecht
17. Vendémiaire [= 8. Oktober, → hier im Jahre 1798]
Nr. 7764
Egalité [= Gleichheit; ganz links oben im Text ist noch das „erté“ aus „Liberté zu erkennen]

 

Der Agent zu St. Lambrecht
an die Municipal-Verwaltung des Kanton Neustadt

 

Da meine andaurenden Krankheits-Umstände
mich unbrauchbar machen,
der Agentschaft fernerhin nach Erfordernis vorzustehen,
indeme durch anhaltende Kopfschmerzen
mir die Gedächtnis einigermaßen entfallen,
auch ohnedies in einem schwachen Körper hereinwandern; dieser
Ursachen halben mich der Agentschaft zu entledigen, dann ein
anderes Subjekt statt meiner zu wählen
und mich mit ferneren Zuschriften zu verschonen bitte.

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Abb. Nr. 4:

Die Weiterleitung von Herrn Körpers Brief vom 08.10.1798 an die Zentralverwaltung des
Département Donnersberg durch die Munizipalverwaltung des Kanton Neustadt mit
Datum vom 28.10.1798 (Landesarchiv Speyer, Bestand G 6 Nr. 542)

 

Hier die Übersetzung dieses Schreibens vom 28.10.1798 – nach den Kopfangaben:

Die Städtische Verwaltung des Kantons Neustadt
An Die Zentralverwaltung der Département du
Mont Tonnerre [= Donnersberg]

Bürger der Verwaltung!

Der Agent von Lambrecht, (der) Bürger Körper, hat soeben um seine Entlassung
ersucht, wie aus beiliegendem Schreiben hervorgeht. Infolge einer lang anhaltenden, schweren Krankheit war er nicht mehr in der Lage, die Funktionen, die mit seinem Amt verbunden sind, ordnungsgemäß auszuführen.

Da es dringend erforderlich ist, ihn durch eine Person zu ersetzen, die sich in ihrem staatsbürgerlichen Pflichtgefühl durch Eigenschaften auszeichnet, wie sie für so eine
bedeutsame Kommune wie der Lambrechts erforderlich sind, schlagen wir Ihnen für diesen Ort den Bürger André Mattil aus Lambrecht vor, einen bewährten und intelligenten Mann, und bitten Sie uns seine Ernennung zu bestätigen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

[Es folgen die Namen der Antragsteller,
die ich nicht mit absoluter Gewissheit
zu ‚entschlüsseln’ vermag.]

Anmerkung: In dem Schreiben ist bereits nicht mehr von „St. Lambrecht“, sondern nur noch von „Lambrecht“ die Rede.

 

Es ist dies das Datum, das wir in seiner Gestaltung erst einmal zu dechiffrieren haben, um es lesen, sprich ‚interpretieren’ zu können. Das Schreiben, in dem der Leiter der örtlichen Verwaltung Lambrechts, der „Agent zu St. Lambrecht“, um seine Entlassung bittet wegen schwerer, anhaltender Krankheit, trägt rechts unter dem Ortsnamen „St. Lambrecht“ das Datum vom „17. Vendémiaire“ des Jahres 7. Die städtische Verwaltung (= Municipal-Verwaltung) des Kantons Neustadt, an die das Schreiben gerichtet ist, hat es - ganz oben - mit dem Eingangsvermerk des „18. Vend. 7“ (pres.[= presentée] le Vend. 7) versehen. Mit positivem Bescheid vom „7. Brumaire --- l’an 7“ entspricht die Kantonalregierung in Neustadt dem Wunsch des Agenten Körper. Was bedeuten diese neuen kalendarischen Termini/Bezeichnungen? Woher sind sie genommen?

 

In der Beantwortung dieser Frage liegt auch schon der Grund, weswegen das gute, alte „St. Lambrecht“ seines ‚Heiligenscheins’, des „St.“, beraubt wurde. Die Tilgung dieses Namensepithetons geht ursächlich auf die radikale Phase der Französischen Revolution zurück. Mit welchem Ereignis diese beginnt, ist innerhalb der Forschung umstritten.

 

Unzweifelhaft dürfte der 22.10.1792, an welchem Tag die Monarchie in Frankreich abgeschafft und die Republik ausgerufen wurde, ein solch markanter Zeitpunkt gewesen sein. Mit diesem Tag verknüpften die Franzosen die große Wende zum Beginn eines neuen Zeitalters, einer ‚goldenen’ Epoche, getragen von den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit, wie dies im Kopf aller Briefe damals durch die Zusatzbezeichnungen “Liberté“ (links) und „Egalité“ (rechts) zum Ausdruck kommt (siehe Abb. Nr. 3). Dieser Tag war auch die Geburtsstunde für einen neuen Kalender, der in seiner antiklerikalen Ausrichtung das Christentum wie auch alle andern Religionen unterwandern wollte. Das Zeitalter der ‚Vernunft’, der eiskalten ‚ratio’, wie der Lateiner sie nennt, war angebrochen. Die dem Menschen angeborenen, unveräußerlichen Rechte, die je nach Begründungsmodus als „Freiheitsrechte“, „Naturrechte“, „Menschenrechte“ oder „Vernunftrechte“ bezeichnet werden, erhielten nun Religionsersatzstatus. Kathedralen, die nicht geschlossen oder säkularisiert (= in weltlichen Besitz übergeführt) wurden, mutierten zu Tempeln der Vernunft, in denen die Freiheit als ‚Göttin’, als Gottersatz, angebetet wurde. Ganze Ortschaften mit einem Heiligen in ihrem Namen, Ortschaften, die von dieser Welle eines neuen Heilsgefühls davongetragen waren, stellten den Antrag auf Namensänderung. Die Heiligen verschwanden aus Orts- und Personennamen. Die Begeisterung für die Republik offenbarte sich in Namensbeigaben à la Marie-Républicaine, z. B. Dieser neue Kalender, beginnend mit dem Jahr I ( 22.10.1792 bis 21.10.1793), in dem der christliche Sonntag durch eine 10-Tage-Woche in die Bedeutungslosigkeit versenkt wurde, war offiziell bis zum Ende des Jahres 1805 in Gebrauch.

 

Ich könnte mir nun gut vorstellen, dass im Zuge dieser Großbewegung nicht nur einer kalendarischen Erneuerung, sondern auch einer Trennung von Staat und Kirche, der alleinigen Anerkennung der Zivilehe, die mit ihrer Entsakralisierung das Scheidungsrecht zuließ, der Unterstellung von Schulen und Universitäten unter die Aufsicht des Staates auch „St. Lambrecht“ seines Heiligennamens verlustig ging.

 

Ob die Franzosen das „St.“ in „St. Lambrecht“ durch einen förmlichen Verwaltungsakt - und unter Angabe eines Grundes - entfernt haben, ist nicht bekannt. Zumindest sind wir nicht im Besitz einer solchen Akte (weder das Landesarchiv in Speyer noch das Hauptstaatsarchiv in München). Das Zeitintervall, in dem dies geschehen sein muss, ergibt sich rückschließend aus dem Schreiben Herrn Körpers an die übergeordnete Kantonalbehörde in Neustadt mit Datum vom 17. Vendémiaire des Jahres VII (= dem 8. Oktober 1798) als dem Terminus post quem (dem Zeitpunkt, nach dem ...) und andererseits dem Antwortschreiben der Verwaltung in Neustadt mit Datum vom 7. Brumaire des Jahres VII (= dem 28. Oktober 1798) als dem Terminus ante quem (dem Zeitpunkt, vor welchem …). Während nämlich der Brief Herrn Körpers noch das „St. Lambrecht“ in der Kopfangabe führt, taucht es im Antwortbrief der Neustadter Verwaltung nicht mehr auf. Dieser Brief bezieht sich nur noch auf „den Agent von Lambrecht, den Bürger Körper“, wie die erste Zeile aus dem Original übersetzt lautet. Es spricht also alles dafür, dass Lambrecht im Laufe des Oktobers 1798 seine Zusatzbezeichnung „St.“ auf französische Einwirkung hin verlor. Aus dieser säkularisierten Namensform ist Lambrecht nie mehr erwacht. Fragt sich nur, warum nicht? Weshalb wollte man zu seiner ursprünglichen Namensidentität nicht mehr zurück? Keiner weiß eine Antwort hierauf.

 

Den Spekulationen, Vermutungen hierzu sind Tür und Tor geöffnet. Eine wissenschaftlich saturierende Antwort hierzu wird es wohl nie geben. Nahm ich vor Beginn meiner immer umfangreicher gewordenen Nachforschungen an, das „St.“ im Namen Lambrechts sei beim Zusammengehen beider Partnerorte preisgegeben worden, so muss auch ich mich eines Besseren belehren lassen und meinen Irrtum angesichts der ans Tageslicht geförderten Sachlage korrigieren.

 

Das i-Tüpfelchen in der Geschichte der Namenswerdung Lambrechts ist ein Akt, den ich so auch nicht für möglich gehalten hätte. Erst mit der Erhebung zur Stadt, der Verleihung der Stadtrechte durch seine Königliche Hoheit, den Prinzregenten Luitpold (der für seine geistig umnachteten Neffen - erst Ludwig II., dann Otto I. - die Regentschaft führte), hat Lambrecht im Dezember des Jahres 1887 amtlicherseits die bis dato korrekte Bezeichnung „St. Lambrecht-Grevenhausen“, in der Praxis freilich so gut wie nie angewandt, gegen die des Namens „Lambrecht“ eingetauscht . Im „Kreisamtsblatt der Pfalz“, Ausgabe Nr. 1 vom 11. Januar 1888 (Landesarchiv Speyer) heißt es hierzu auf Seite 3 wortwörtlich:

Im Namen Seiner Majestät des Königs haben seine Königliche
Hoheit Prinz Luitpold, des Königreichs Bayern Verweser, mittelst Allerhöchster Entschließung vom 21. Dezember 1887, Nr. 17998, allergnädigst genehmigt, dass die Gemeinde St. Lambrecht-
Grevenhausen den Namen „Lambrecht“ und die Bezeichnung
„Stadt“ annehme.

Die Erhellung dieser Namensgeschichte gleicht im Schwierigkeitsgrad der Lösung des ‚Gordischen Knotens’. Mit dem Unterschied, dass nicht ein einziger, wohlgezielter Schwerthieb eines Alexanders diesen zu lösen vermochte, sondern Besonnenheit in Beharrlichkeit und Unverzagtheit an neuem Wissensdurst vielversprechende Tugenden auf dem Weg durch das Dunkel dieses Tunnels sind/waren. Die Namensgeschichte Lambrechts ist ein Stück aus dem Leben gegriffen. Dieses verläuft in der Tat selten geradlinig. Auch hat es nichts mit einer mathematischen Gleichung gemeinsam, die aus Faktoren besteht, welche sich im Endeffekt einer ‚Lösung’ zuführen lassen. Die Determinanten der Gleichung des Lebens sind anderer Natur. Ständig ändern sie ihren Gehalt wie auch ihre Gestalt, werden durch neue ergänzt oder ausgetauscht usw. Schließlich ist alles Leben im Fluss - Statik gibt es nicht, daher auch keine (absolute) Sicherheit. Gliche das Leben einer mathematisch lösbaren Gleichung, wäre es absolut uninteressant. So aber bereichert uns der Facettenreichtum des Lebens immer wieder aufs Neue, versetzt uns ins Stauen und löst so unsre Wissbegierde aus. Dieses ewige „Ich möchte gerne wissen“ ist zugleich die Geburtsstunde aller Wissenschaft, die Frage nach einem Leben, das mit logischen, rationalen Mitteln/Herangehensweisen allein nicht erschließbar im Sinne von erklärbar ist. So sind es auch und gerade die ‚scheinbaren Widersprüche’, die das Leben so interessant machen. Eine alte Lambrechter Erfahrung bringt uns das in so metaphorisch gelungener Sprache zu Bewusstsein: „Grumm unn schäpp unn iwwerzwääsch gehd de Wäsch nooch Linnebääsch“, was für alle, die des alemannisch-fränkischen Dialekts in der vorderpfälzischen Variante nicht mächtig sind, sinngemäß übersetzt lautet: „Krumm und schief und überkreuzt führt der Weg [von Lambrecht] nach Lindenberg.“