St. Lambrecht in alter Lutherbibel
Handschriftliche Eintragungen in Luther-Bibel aus dem Jahre 1769
werden zur ‚Offenbarung’, zum Beleg für die amtliche Bezeichnung Lambrechts
als ‚St. Lambrecht’ noch bis zum Jahre 1827
In einer alljährlich wiederkehrenden, fast möchte ich schon sagen ‚ritualisierten’ Handlung hole ich zur Feier des Reformationstages im Gedenken an Luther, den ich als (unfreiwilligen) Vorläufer und Wegbereiter der Aufklärung verehre, eine aus Omas Händen ererbte Luther-Bibel aus dem Jahre 1769 hervor, um am Vorabend zu Allerheiligen in aller Besinnlichkeit ein wenig darin zu blättern. Wie gesagt, nur ‚blättern’, nur ein wenig ‚stöbern’ wollte ich, nichts Großes, Bewegendes im Sinne führend. Doch was entdecke ich da, kaum dass ich die ersten Seiten aufgeschlagen habe! Und dies so ganz im Nebenbei. Unvermittelt, unverhofft stoße ich zu meiner größten Freude und vorweihnachtlichen Überraschung beim Wenden der ersten, drucktechnisch leer gebliebenen Seiten auf den Namen ‚St. Lambrecht’, handschriftlich wie folgt vom damaligen Besitzer des Buches eingetragen:
„Dieses bug (= Buch) gehört mir zu
Peter Strauch von St. Lambrecht
den 14ten Februarä
1821“ [die Zahl 3 wurde in eine 1 ausgebessert]
Wer in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts im Besitz einer solchen Bibel war, durfte sich gut und gerne zum Besitz- und Bildungsbürgertum rechnen, das die gesellschaftliche Rolle des Adels übernahm, diesen aus seiner Funktion verdrängte, ja ablöste und zur staatstragenden Säule des modernen Verfassungsstaates wurde. Eine solche Bibel ist über ihren damaligen materiellen Wert hinus mehr als nur Anzeige des Sozialstatus ihres Eigentümers, mehr als bloßes Prestigeobjekt. Sie unterstreicht die geistige Selbständigkeit ihres Inhabers, den ‚self-made man’ im wirtschaftlichen Existenzkampf des Daseins einerseits, dient aber zugleich auch ganz praktischen Lebenszwecken. So wird sie zur Buchführung für Einnahmen und Ausgaben des Haushalts, als Chronik familieninterner Anlässe und Ereignisse (Geburts-, Tauf- u. Sterberegister) sowie als Festhaltedokument von Geschehnissen zentralrelevanter Bedeutung innerhalb der Kirchengemeinde verwendet.
Diese Gebrauchspraxis spiegelt sich auch in vorliegender Bibel wider. So ist in ihrem hinteren Teil, nach dem „Register der Trost=Gründe“, auf der ersten, unbedruckten Seite eine Rechnung bzw. Quittung eingeklebt [im Original als „Nota“ bezeichnet], die eine Zusammenstellung der Kosten für die „Klavier-Stunden von Peter Strauch“ enthält. Ausgestellt und unterschrieben mit Datum vom 25. April 1827 wurde sie von „A. Schloßer“, dem/der Klavierlehrerin wohl. Ganz deutlich lesbar ragt unübersehbar auch hier wieder der historisch gewachsene Name unserer Heimatgemeinde, „St. Lambrecht“, hervor. So zitiert und unterschrieben von einer zweiten, mündigen Person, unabhängig vom Inhaber der Bibel selbst.
Dies dürfte ein klarer Beleg dafür sein, dass Lambrecht zum damaligen Zeitpunkt noch die amtlich offizielle Bezeichnung „St. Lambrecht“ trug, wäre sie doch sonst nicht von erwachsenen Bürgern und Geschäftsleuten so verwendet worden.
Hier die fotografische Reproduktion dieser „Nota“:
Ein weiterer, gesicherter Hinweis auf den damals noch üblichen Gebrauch des vollen, angestammten Namens von „St. Lambrecht“ findet sich über dem Eintrag der sieben Kinder Herrn Strauchs. Bedauerlicherweise ist es mir aus fotoaufnahmetechnischen Gründen nur gelungen, die ersten sechs Kinder mit ins Bild zu rücken, um den oberhalb stehenden Verweis auf „St. Lambrecht“ nicht (aus der Optik) zu verlieren. Das siebte Kind wurde nachträglich unter den Schlussstrich zu dieser tabellarischen Eintragung gesetzt, da es erst im Jahre 1823 geboren wurde, wie aus einer andern Stelle hervorgeht.
Hier die fototechnische Wiedergabe dieses Ausschnitts:
Die Transkription respektive Umsetzung dieser Passage in die uns vertraute lateinische Schrift lautet - ich verlasse mich hier auf Herrn Thomas Wetter, der mir seine via Internet offerierten Übersetzungsdienste für altdeutsche Schriften unentgeltlich zur Verfügung stellte und dem an dieser Stelle mein ausdrücklicher Dank zukommt:
„Diese Bibel gehört Peter Strauch in St. Lambrecht,
den 9ten Dezember 1821
1 | tes Kind | Katerrein | 1811 |
2 | Kind | Peter | 1813 |
3 | Kristin | 1815 | |
4 | Hatman | 1816 | |
5 | Hilbin | 1820 | |
6 | xxx | Elisabetha | 1821“ |
Mit diesen Vornamens- und Jahresangaben zu vorgenannten Kindern handelt es sich höchst wahrscheinlich um eine Art ‚Geburts- und Taufregister’ privater Natur, nicht unbedingt in Konkurrenz zur Kirche, in deren Obhut damals noch die staatliche Wahrnehmungspflicht und Autorität eines ‚Einwohnermeldeamtes’ lag.
Kinder waren, wie heute in der Regel auch, ein Segen Gottes. Kinderreichtum war gleichbedeutend mit einer ‚Altersvorsorgeversicherung’. Kinder hatten nach hergebrachtem Verständnis ihre ins Alter gekommenen Eltern zu versorgen. Kinder mussten schon damals analog zu dem, was wir heute als „Generationenvertrag“ bezeichnen, für ihre Eltern aufkommen. Die wenigsten Eltern verfügten zu jener Zeit über ein Privatvermögen, das sie - unter Verschonung der Einkommensverhältnisse ihrer Kinder - als Grundlage ihrer Versorgung im Alter hätten heranziehen können.
Noch ein anderer Aspekt taucht in dem Zusammenhang auf:
Großfamilien und Familienzusammenhalt - das Integriertsein der Großeltern in die Familien ihrer Enkelkinder (und nicht das ‚Abgeschobenwerden’ ins Altersheim) - galten als unabdingbare Existenzgrundlage eines jeden Einzelnen im Familienverband.
Daher „St. Lambrecht in der Pfalz, in alter Tradition, Gott erhalt’s.“